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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Kinno? Maria war gern ins Kino gegangen, Samstag- oder Sonntagabend an Heriberts Arm die steilen Eisentreppen hinauf in Rösraths Saal. Heribert im Arm, wenn sie die Holzstühle immer näher zusammenrückten, >Fox tönende Wochenschau^ die Wunder der Tierwelt und der Reklame genossen, HB-Männ- chen, Knorr-Suppen, Nivea-Sonnenmilch am Ladscho Madschore. Händchen hielten und die Füße verschränkten beim >Schwarzwaldmädel<, der >Lindenwirtin vom Donaustrand<, dem >Förster vom Silberwald<, >Heideschulmeister Uwe Carstens der >Trapp-Familie<. Maria schwärmte für Ruth Leuwerik, die Schell und Rudolf Prack.
    >Giganten<, sagte ich, sei zuletzt in Großenfeld gelaufen, mit James Dean.
    Och, so wat Amerikanisches, sagte Maria. Hast du nit >Dat Wirtshaus im Spessart« gesehen? Oder >Freddy, die Jitarre un dat Meer    Ich schüttelte den Kopf.
    Na meinetwejen, dann >Jijanten<. Erzähl mal. Esch hab von de Jeschischten über Wunderkuren un Wunderdokters die Nas jestrischen voll.
    Ich erzählte den Film bis in die Farbe der Schleifchen an Elisabeth Taylors Kleidern, die Hochzeit aber würdigte ich kaum eines Satzes. In alle möglichen Spielarten des Mißgeschicks, des Unglücks, des Niedergangs der Hauptfigur ergoß ich meine Phantasie. An den Film hielt ich mich nur in groben Zügen, schnitt das Ganze auf Dondorfer Verhältnisse zu und mischte noch etwas >Ostwind Westwind« darunter, den ich gerade in alten >Readers Digest<-Heften aus Fräulein Kaasens Abfall las. James Dean sei im Suff der Teufel erschienen, als Cowboy verkleidet, mit Klumpfuß, nicht unähnlich Rudolf Prack.
    Marias Wangen röteten sich. Die Tante trug Kaffee und Kuchen herein. Sie behandelte die Tochter mit einer wechselnden Mischung aus Zorn, Verachtung und Mitleid. Heute überwog, wie sie Tassen und Teller hinstellte, in dem Klappern und Klirren der Zorn. Warum hatte Maria ihr das angetan? Hätte sie nicht wenigstens warten können, bis sie verheiratet und aus dem Haus war?
    Noch ehe die Tante einen Schluck Kaffee getrunken hatte, begann sie schon wieder mit ihrem einzigen Thema, Krankheit und Heilung. Maria sank zusammen, dem Wortgeprassel wehrlos preisgegeben. Wie gut es war, einfach aufstehen und weggehen zu können!
    Maria war wieder im Krankenhaus. Man hatte sie in Düsseldorf gleich aufgenommen. Fast wie einen Notfall, hatte die Tante gemeint. Von Sigismund hörte ich nichts. Mein dritter Zettel hatte drei Fragezeichen. Der Bruder schleppte ihn ein paar Tage mit sich herum. Bei Mix fuhr der Möbelwagen vor. Friedel kam mit einem Koffer voller Bücher. Für dich, Hildegard, sagte sie, sozusagen als Adventsgeschenk. Die Bücher waren einheitlich in dunkelgrünes genarbtes Leder gebunden, die Titel in Gold, auf der Rückseite die Initialen der Frau Bürgermeister N. V, Nora Vischer. Ihre Mutter habe diese Bücher besonders geliebt, sie jedoch finde, dieser Keyserling trage zu dick auf. Sie halte sich lieber an Leute mit Hand und Fuß. Ob ich schon einmal etwas von Gottfried Keller gelesen habe? Ja, sagte ich und zählte ein paar
    Geschichten aus den >Leuten von Seldwyla< auf. Friedel kniff die Augen zusammen und sah mich an. Weißt du denn schon, was du einmal werden willst? Ich schüttelte den Kopf. Na, sagte sie, du hast ja auch noch etwas Zeit. Bei Gelegenheit sagst du mir mal, wie dir die Geschichten gefallen haben! Mit ausgestrecktem Arm hielt sie eines der Bücher vor die Augen: >Schwüle Tage<, entzifferte sie. Ihr Gesicht, dem leichte Hängebacken einen dauerhaft traurigen Ausdruck verliehen, verzog sich zu einem schiefen Lächeln. Sie seufzte und fuhr mit der Hand durch ihr graues Kraushaar, ihre kleine, dürre Gestalt drückte Verachtung aus.
    Nie mehr, seit ich mit >Grimms Märchen« im kalten Flur auf der Speichertreppe gesessen hatte, war ich so von mir losgelöst, erlöst worden wie von diesen Geschichten aus den dunkelgrünen Büchern. Endlose Kreise zog meine Phantasie, ich verpuppte mich in erlesenes Leben, badete in entrückter Schönheit, höher und höher über der Wirklichkeit, die mich nur noch notdürftig mit ein paar Fäden an Alltagspflichten und Verrichtungen hielt.
    Dann endlich kam ein Zettel von Sigismund. In meiner Welt der Fürstinnen, Grafen und Barone mutete das Papierchen recht bescheiden an, obwohl Sigismund in die linke obere Ecke etwas wie ein Ei gemalt hatte, das sich bei genauerem Hinsehen als eine verschleierte Frau herausstellte, die sich in einem schwungvollen Bogen über ein kleineres, ähnliches Gebilde

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