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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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und silbern wie ein Altar. Einfach dasein, dasitzen, und wissen, daß man morgen noch dasitzen wird wie gestern und übermorgen wie heute in seiner Ruhe, seiner ganz eigenen, von nichts und niemand gestörten Ruhe. Leben wie in einem weich und warm gepolsterten Etui.
    Maria durfte Weihnachten das Krankenhaus verlassen. Ich hatte Angst, sie zu besuchen. Ihre Krankheit war kein vornehmes Fieber, das in vornehmen Bädern geheilt werden konnte wie das der Prinzessin Marie. Ich besuchte sie mit der Mutter und dem Bruder am zweiten Weihnachtstag und sah Maria an, ohne sie zu sehen. Als Kind hatte ich, um mir die Zeit zu vertreiben, in der Kirche oft die Pupillen ein wenig nach oben gekippt und die Augen leicht zusammengekniffen, bis der fixierte Gegenstand sich in schillernde Regenbögen brach und verschwamm. In der Kirche war es Jesus am Kreuz gewesen. Jetzt war es Maria. Ich wollte ihr Leiden nicht wahrhaben. Als ich mich von ihr verabschiedete,sagte ich Fräulein Marie zu ihr und hätte beinah einen Knicks gemacht. Auf dem Heimweg hing ein Halbmond am Himmel, und ein paar Sterne glitzerten. Ich sprach mit dem Bruder, der Mutter, aber unter meinen Füßen in den Knöpfstiefeln aus Saffianleder spritzte der Kies auf dem Weg zum Pavillon am Teich, und ein harter Wind raschelte in den Buchsbaumhecken. Die Stimme der Mutter, Et jibt ken Hoffnung mieh, klang von weither, vermischte sich mit einem hellen Lachen, wurde davongetragen vom Knirschen der Kutschräder auf dem festgefrorenen Schnee. Der Bruder stupste mich in die Seite: Mach doch dä Schirm op, et räänt.
    Den Schirm, sagte ich. Es regnet. Ach, et es doch ejal.
    Maria lag nun auf einer anderen Station als vor einem Jahr. Doch war erst einmal die schwere Glastür hinter einem zugefallen, unterschieden sich die Flure kaum. Nur der Geruch war brütender hier. Damals hatten Karbol und Putzmittel alles andere übertönt, jetzt herrschte statt des stechenden ein fauliger Geruch, dessen Herkunft ich mir nicht erklären konnte, unheimlich.
    Bis aufs Haar glich das Zimmer dem letzten. Der Boden beiges Linoleum, die Wände cremefarben, die Vorhänge vom gleichen verschossenen Hellblau. Neben den Betten standen Metallvorrichtungen, Kleiderständern ähnlich, nur hingen statt Bügeln Beutel an den Haken, von denen jeweils ein Schlauch in die rechte oder linke Armvene der Frauen führte. Maria war die einzige Kranke mit einer Frisur. Zwei der Frauen waren kahl, die dritte, im Bett neben Maria, sah einem Huhn in der Mauser ähnlich, kahle Stellen und graubraune Büschel. In dem Behälter neben ihrem Bett sah es weich und wollig aus. Auf ihrer Bettkante saßen, wie auf den Rändern eines Ruderboots, stramme Enkel, Söhne und Töchter, die nach Kälte und Gesundheit rochen. Auch neben Marias Nachtkästchen stand ein Behälter.
    Maria sah uns an, als hätte sie Angst vor uns. Mama, sagte sie und wollte die Hand der Tante nicht mehr loslassen. Und dann tat die Tante etwas, was in unserer Familie so undenkbar war wie ein Sonntagskleid an Wochentagen, sie beugte sich zu Maria hinab und zog den Kopf der Tochter an ihren falschen Kamel-haarmantel. Maria schluchzte, zitterte. Die Tante strich ihr übers Haar. Blitzartig zog sie die Hand zurück, ihr Gesicht versteinert. Sie hielt starke, gesunde, schwarzglänzende Haare in der Hand. Hielt die Hand mit den Haaren in der Luft noch einmal an, als würde erst wirklich wahr, was hier geschah, wenn sie die Hand wieder senkte, wenn die Haare im Behälter zu liegen kämen. Ich atmete durch, nahm ihr die Haare aus der Hand und steckte sie in die Jackentasche. Die Tante ließ den Kopf der Tochter los, auch auf dem Mantelstoff klebten Haare. Sie wandte sich ab und hängte den Mantel, das Futter nach außen, an den Kleiderständer neben dem Waschbecken.
    Zu Hause hatte Maria wieder Appetit bekommen. Wir brachten allerhand Leckereien, Mandelspekulatius und Zimtsterne von Hanni, die wegen ihres Asthmas bei dem naßkalten Wetter im Haus bleiben mußte, Spritzgebackenes, das eine Ende in Schokoladenguß getaucht, Lebkuchen aus Nürnberg in einer bunten Blechdose; aber auch Herzhaftes in Marmeladengläsern, Selleriesalat, Ölsardinen und Bismarckheringe, als gälte es, einen Kater zu bekämpfen. Maria wurde grün im Gesicht, als sich die Sachen auf ihrem Nachttisch türmten. Nur trockenes Brot, Reis und Nudeln kriege sie noch herunter.
    Du mußt doch ässe, Kenk, ereiferte sich die Tante verzweifelt, du muß doch de Kraft behale!
    Wofür denn, gab Maria

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