Das verborgene Wort
Kunstfigurs ja, dieser Dichter verstand etwas vom Verändern der Dinge durchs Verändern ihrer Namen! Sigismund Schiller vor Augen, erzählte ich, wie vordem Friedrich Schiller, Federico Schiller, Frau Peps: Mein Entsetzen über die Haare Marias und wie die Tante alle Figuren aus Lourdes weggeworfen hatte, auf den Misthaufen bei den Pferden. Sie dann aus Angst vor dem Finger Gottes, der nicht helfen, wohl aber strafen konnte, wieder ausgebuddelt und mit Kölnisch Wasser gereinigt hatte. Unter vier Augen hatte sie dies der Großmutter gebeichtet, ich hatte es in meinem Schuppen mit angehört. Ob sie noch geweiht seien, hatte die Tante wissen wollen. Die Großmutter hatte gewettert, ob sie nicht schon Schreckliches genug hätte, ohne Gotteslästerung, schließlich jedoch die Tochter beruhigt: Nein, ihre Segenskraft hätten die Marias nicht verloren, einmal geweiht, immer geweiht. Bei dem einen wirke es eben, bei dem anderen nicht, sage der Ohm. Die Tante war der Großmutter schluchzend um den Hals gefallen, daß es ihren massigen Körper geschüttelt hatte und den dürren Leib der Großmutter mit. Ich hatte wegsehen müssen wie von etwas Unanständigem.
Schrieb, daß der Schulzahnarzt dagewesen sei und mir eine Zahnklammer verordnet habe, die aber neunhundert Mark koste. Er wolle den Eltern eine Ratenzahlung von monatlich dreißig Mark vorschlagen. Ich wünschte mir die Klammer so sehr.
Im letzten Herbst, kurz vor Sigismunds Beinbruch, war ich in der Großenfelder Martinskirche gefirmt worden. Fünf Kirchengemeinden hatten sich zusammengetan, damit sich der Aufwand für den Weihbischof lohnte. >Widersagt ihr dem Teufel?< - >Wir widersagen.< >Und all seinen Werken?< - >Wir widersagen.< Die Zeremonien nahmen mich gefangen wie eh und je. Ich genoß es, die großen, alten Worte im Mund zu fühlen, den Worten nach- zulauschen, zu hören, wie sie sich hundertfach verstärkten, wie ich, wie wir alle hier zu ihrer Stärkung beitrugen, ihrer jahrhundertealten Kraft. Doch hörte und fühlte ich sie noch in meinem Herzen? >Widersagt ihr dem Teufel?< Dunja hatte sich ertränkt, Maria war krank, und meine Zähne waren so schief, daß ich nur mit geschlossenen Lippen lächelte. Gäbe mir der Teufel gerade Zähne, ich widersagte ihm nicht. Die krummen kamen schließlich von Gott. Immerhin hatte er mir nun den Schulzahnarzt geschickt. Hold wie die Fürstin Marie, rein wie Beate, berückend wie Mareille würde ich der Welt entgegenlächeln. Unwiderstehlich grinste ich meinen Pappkameraden in Parka und Schillerlocken an.
Keinen der Briefe gab ich je dem Bruder mit. Sie kamen zu >Briefe als Gedichtes zur Wörter- und Sätzesammlung in die Schuhkartons.
Schön, daß ihr beim Badminton gewonnen habt, schrieb ichdem wirklichen Sigismund. Hast Du Deine Deutscharbeit schon zurück? Wir schreiben morgen Mathe. Drück mir die Daumen. Wir lesen jetzt >Bahnwärter Thiel«. Was macht der Keller? Ist er bald fertig? Im Keller des neuen Hauses sollte ein Tischtennisraum eingerichtet werden. Sigismund wollte mir das Spielen beibringen.
Mit den Kreuzchen war ich weit sparsamer als Sigismund. Höchstens drei auf einmal.
Mitte Februar steckte mir Bertram wieder einen Zettel zu. Hilla, schrieb Sigismund: Ich bin heute nachmittag im Café Haase. Die Olympiade hat angefangen. Kommst Du auch? S. Das war alles. Keine Kreuzchen, keine Herzchen, kein >Liebe<.
Bertram, wann fangen die Olympischen Spiele an? fragte ich den Bruder, der dabei war, ein paar Sportlerbilder in sein Sammelalbum einzukleben.
Gestern, knurrte er, in Amerika. Weiß ich doch, entgegnete ich. Und im Fernsehen? Bertram sah mich überrascht an: Seit wann interessierst du disch denn für Sport?
Na ja, sagte ich, eigentlich immer schon. Und die Olympiade, da geht es doch um mehr als Sport. Da geht es doch auch um Deutschland.
Un du interessierst disch für Deutschland? fragte der Bruder störrisch.
Und, sagte ich. Dich. Jawohl, für Deutschland und für Sport. Also, wann fängt es an?
Um fünf, sagte der Bruder. Warum willst du dat dann so jenau wissen?
Sag mal, Bertram, was hast du denn heute vor? Nix, brummte er, Schularbeiten.
Sag mal, ich zog die >a's< in die Länge, bis ich fast keine Luft mehr kriegte, sag mal, hast du Lust, mit mir ins Café Haase zu gehen, Olympiade gucken?
Hä, antwortete er und sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Und wer soll dat bezahlen?
Ich natürlich, sagte ich. Und du sagst der Mama Bescheid. Dem Bruder konnte sie nichts
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