Das verborgene Wort
abschlagen.
Der Fernseher im Café Haase stand auf einem stabilen Brett, fast unter der Decke. Der kleine Raum war gesteckt voll, Jugendliche und Kinder, aber auch ein paar alte Männer, die an ihren Pfeifen zuckelten. Eine Luft zum Schneiden. Der Geselle schleppte noch einen Armvoll Klappstühle herein. Los, puffte ich den Bruder, der schüchtern an der Tür stehengeblieben war, in die Rippen. Siehst du ihn? flüsterte ich. Wen denn? fragte der verblüfft. Na, wen wohl? zischte ich verbissen. Ich sah ihn nicht. Setzen, riefen Stimmen durcheinander. Setz dich doch, sagte der Bruder und setzte sich. Schon kam Bäcker Haase selbst, die bemehlte Schürze vorm gewölbten Bauch, die weiße steife Mütze auf dem Kopf, wuchtete sich auf einen eigens dafür vorgesehenen Schemel, drückte das Knöpfchen und faßte plumpsend wieder Fuß. Es wurde still, als hätte der Meßdiener für den Pastor geklingelt. Aller Augen waren auf den Kasten gerichtet, dort flimmerte das Bild, spielte die Musik, Märsche und Hymnen, die Mannschaften der Völker der Erde zogen, begleitet von den begeisterten Kommentaren des Reporters, ins Stadion. Ich aber spähte mit verdrehtem, halb aufgerichtetem Körper nach hinten, Tisch für Tisch, Stuhl für Stuhl, in Ecken und Winkel, sogar an der Decke suchte ich ihn.
Bärbel, die Bäckerstochter, drängte sich durch und fragte nach unseren Wünschen. Zwei Coca, bitte. Eine ganze Mark zum Fenster rausgeschmissen. Die Stimme des Reporters wurde lauter, die deutsche Mannschaft marschierte ein, ich sah die fahnenschwenkenden Figürchen durch einen Schleier von Tränen der Wut. Hier mußte ich jetzt sitzen, unter die Decke stieren, viel zu süße, viel zu kalte Coca trinken und bezahlen, doppelt bezahlen, ich sah den Bruder an, der genoß das unerwartete Vergnügen und hatte für nichts anderes Augen. Ich würde die Coca trinken und gehen. Zum Südhang, zu Beate und Mareille, in den beerenduftenden, heißen Garten, zum Ginster hinter dem Park vorm Wald. Ich drückte dem Bruder eine Mark in die Hand. Da ging die Tür noch einmal auf.
Er griff einen Klappstuhl von der Wand und ruckte ihn, mir flüchtig zunickend, schräg vor meinen. Eine Ruhe überkam mich wie von schönen Sätzen, von Federicos Bürstenstrichen. Der Knasterrauch hing noch immer im Raum, kratzte in meinem ent-zündeten Hals, doch durch diese Schwaden hindurch schimmerte nun Sigismunds kurzgeschorenes Haar, schwarz mit einem rötlichen Unterton, warm und weich wie ein Tierfell. Ich studierte seine linke Ohrmuschel, rotglühend vom Wechsel aus der Kälte in den überheizten Raum, die Linie seines Halses, den Nacken, die Schultern in der gerippten Strickjacke. Folgte seinen Augen in die weiten Schneelandschaften, die verschneiten Berge, auf Pisten und Sprungschanzen. Ermüdete mich das Getümmel auf dem Bildschirm, stärkte ich mich mit einem Blick auf das weiche Fell, das rote Ohr, das Hautstück zwischen Haar und Kragen. Aber ich merkte mir auch, was die Reporter sagten.
Männer einzuwickeln hatte ich von Frauen in den Büchern gelernt. In deren Köpfen nisteten sie sich ein, da, wo diese sich stark und sicher fühlten. Dorthin trugen die Frauen ihre wissensdurstigen Fragen, ihre Neugier, ihr unstillbares Interesse an allem, was ihm gefiel, wie arme Witwen ihr Scherflein zum Bau einer Kathedrale. War es der Beruf, fragten sie nach dem Beruf, waren es die Briefmarken, zählten sie die Zacken an den Rändern der Raritäten, waren es Pferde, konnten sie von Stammbäumen reden wie ein Züchter. Doris hatte, nachdem sie mit Robert zum zweiten Mal in die Milchbar gegangen war, ein Buch über Edelsteine gekauft. Robert würde einmal das Juweliergeschäft seines Vaters übernehmen. Er wußte alles über Edelsteine. Doris mittlerweile auch. Hätte Robert Zierfische oder Schnecken den Edelsteinen vorgezogen, wären es eben Fische oder Schnecken gewesen.
Oh, machte ich, wenn der Deutsche ein Fähnchen riß, ah, wenn er die beste Zeit lief, zählte die Sekunden, wenn die daumengroßen, grauen Schemen die Abhänge hinuntersausten.
Guten Tag, sagte Sigismund bei der Siegerehrung und schüttelte mir die Hand, als hätte ich einen Preis gewonnen.
Tach, sagte ich kühl, um dann mit mehr Wärme hinzuzufügen: Was hältst du von Heidi Bieber? Ob sie es bei diesen Schneeverhältnissen schafft? Der pulvrig bis staubige Neuschnee ist ja wohl ihre Sache nicht. Doch sollte wohl hier das richtige Wachs Ausgleich schaffen können.
Der Bruder kriegte den Mund
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