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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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nicht mehr zu.
    Biebl, sagte Sigismund, nicht Bieber. Ja, ich denke, sie schafft es.
    Und dieser Postbote aus dem Schwarzwald, wie heißt er doch gleich?
    Thoma, warf der Bruder ein, froh, mir helfen zu können, Georg Thoma.
    Georg Thoma, wiederholte Sigismund gewichtig und blickte mißbilligend auf den Bruder hinunter. Nun, das wird man sehen. Du kommst doch morgen wieder.
    Eine Frage war das nicht, eher ein Satz mit Ausrufungszeichen, ein Befehl.
    Die meisten Zuschauer waren schon fort. Bärbel kam herein, riß alle Fenster auf und schaltete den Apparat aus.
    Sigismund war kaum um die Ecke, als der Bruder aufgebracht maulte, weshalb ich ihn vorhin ins Kreuz gestoßen hätte. Er habe mir mit dem Namen Thoma doch nur helfen wollen. Ach, Bertram, seufzte ich und schwieg. Um das zu verstehen, war er wirklich noch zu klein.
    In den nächsten vierzehn Tagen schwadronierte ich von Nordischer Kombination, Zweierbob und Viererbob, dreifachem Rittberger und Doppelaxel, fachsimpelte zur Übung mit dem Bruder, wo immer ich seiner habhaft werden konnte, selbst Doris verschonte ich nicht. Und was sagt dein Sigismund dazu? fragte sie grinsend, als meine Begeisterung für Kilius/Bäumler immer neue Pirouetten drehte.
    Die Stunden im Café Haase versäumten wir keinen Tag. Es war leerer geworden, wir saßen bequem zu dritt an einem der Tische, tranken Coca und sprachen außer Oh verflixt! Nun mach schon! Gott sei Dank! nicht viel. Zettel schrieben wir uns in diesen beiden Wochen nicht. Es war fast so wie zu der Zeit, als er mit einem gebrochenen Bein auf mich gewartet hatte. Schloß Paduren weit weg.
    Erst als die Olympiade vorbei war, fuhr ich wieder zu Maria. Diesmal kam Hanni mit. Im Wartehäuschen an der Haltestelle pumpte sie sich noch einmal mit ihrem Gummiball Luft in den Rachen. Ich hatte Schluckbeschwerden und lutschte Halstabletten. Es war ein trüber Sonntag im März. Der Winter wollte nicht nachgeben. Eine ausgezehrte Sonne drang kaum durch den Nebel, der sich feuchtkalt auf die Haut legte. Nicht einmal die Werbesprüche über den Straßenbahnfenstern oder die Beförderungsbedingungen auf der Fahrkarte konnten heute die Welt von mir abrücken. Sie waren und blieben da: die Mutter, die Tante, die Cousine. Die Mütze der Mutter war grün, die der Tante grau, meine rot, Hannis blau, alle nach demselben Muster gestrickt, breite Rippen, oben spitz zulaufend, am Rand beliebig breit umzukrempeln, passend für jeden Kopf. Bei Hannis Gesicht hielt ich es am längsten aus. Es war voller geworden, beinah viereckig, die Augen trüb unter den Lidpolstern. Später lernte ich, daß dies vom Cortison kam, gegen ihr Asthma. Aber es war das Gesicht geblieben, mit dem ich Geheimnisse teilte.
    Kurz nach ihrer Heirat war Hanni an Asthma erkrankt. Spezialisten in Düsseldorf fanden heraus, sie vertrug den Umgang mit Pferden nicht. Daß Rudi die Pferde aufgeben könnte, kam keinem in den Sinn. Er duschte und zog sich um, wenn er vom Stall ins Haus ging; es half nichts. Das Asthma saß fest. Besonders nach den Reitstunden, die Rudi in Möhlerath gab.
    Hanni ließ sich nicht unterkriegen. Nicht einmal von der Tante, die seit Marias Erkrankung fast dreißig Pfund zugenommen hatte. Bei allem Geschick hatte Onkel Mätes die Nähte der Kleider nicht mehr auslassen können. Zweimal schon war sie nach Köln zu C& A gefahren. Sie aß, als wolle sie das Leben, das der Krebs aus ihrer Tochter herausfraß, wieder in sich hineinfressen. Nach dem Fehlschlag Lourdes hatte sich ihr ohnehin guter Appetit zur Gier, zur Sucht entwickelt. Die Tante mußte essen, egal was, wann und wo. Ihre herben, fast männlichen Züge waren von Fettgewebe umhüllt wie Felsen von Schnee, die Augen hatten den zupackenden Blick, der Mund sein zuversichtliches Lächeln verloren. Schwerer als alle anderen Familienmitglieder trug sie an der Schande, die das vorenthaltene Wunder nun einmal bedeutete. Sie hatte ihr Teil getan. Gott hatte sie hängenlassen. Die Raten für die Reise mußte sie jetzt, ein halbes Jahr später, noch immer abstottern. Der Tante fehlte, was der Großmutter über alle Unbill hinweghalf, das blinde Vertrauen in die Worte des Ohms, die Ergebenheit in Gottes Willen. Sie erwartetegute Wunder für gute Werke. Eine Hand wäscht die andere. Wenn man sich nicht einmal mehr auf Gott verlassen konnte, wo blieb da die Gerechtigkeit? Wozu dann all die Mühe? Sie konnte Gott seine Sturheit nicht verzeihen.
    Neben der Tante saß die Mutter. Ihr ins Gesicht zu sehen,

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