Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
Vom Netzwerk:
Sigismund einige Tage zu den Großeltern fahren. Bis dahin würde ihm das Lesen, hoffte ich, vergangen sein.
    Sigismund wünschte schöne Ferien. Schon morgen fahre er mit einer Gruppe nach Spanien. Und: Ich habe mich schon lange darauf gefreut.
    Punkt fünf, und keine Sekunde später, hatte er, Hand aufs Herz, die Linke mit der teuren Konfirmationsuhr emporgereckt, geschworen. Gestern. Gemeinsam hatten wir seine neue Luftmatratze aufgeblasen und waren damit auf- und abgewippt. Über seine Flossen hatte ich gelacht und prophezeit, das Wasser im Rhein sei viel zu trüb für seine Taucherbrille. >Ich habe mich schon so lange darauf gefreute Ich sprach den Satz immer wieder, bis die Worte sich in sinnlose Silben auflösten. Aber die Schrift blieb mächtiger als das Gesprochene. Drei Zeilen gegen so viel
    Gesprochenes, Versprochenes, Schall und Rauch, verlogene Luftzüge. Der Verfasser ließ sich nirgends blicken. Ich klingelte bei ihm, niemand öffnete. Ich rannte durchs Dorf zur evangelischen Kirche, zum Gemeindehaus, zur Villa des Fabrikanten. Vor der Garage verdampfte eine Wasserlache. Sigismund hatte den Wagen gewaschen. Aber sein Fahrrad war schon weg. Am nächsten Morgen strich ich stundenlang um die Haltestelle. Auch nach Spanien mußte man zuerst mit der Bahn bis Großenfeld. Nachmittags machte ich mich mit der Mutter auf den Weg zum Kirchhof, gießen, jäten, die Ränder harken.
    Viele Male war ich an der Tafel schon vorbeigegangen, die Bötsch aus ein paar Brettern zusammengehauen und in seinem Vorgarten aufgestellt hatte. Das verblichene Plakat lud zu Fahrten nach Spanien ein. Loret de Mar, San Sebastian. Gruppen und Jugendliche zu ermäßigten Preisen.
    Die janze evangelische Jugend is do metjefahre, sagte die Mutter. Dat hät dir der Sijismund doch sischer verzällt. Un dat Beate Maternus och.
    Der Friedhof lag menschenleer, von Sonne überströmt, die Schatten der Steintafeln und Kreuze, der Lebensbäume und Buchsbaumkegel zeichneten schwarze Muster auf Gräber und Wege. Stechend herbe Tagetes, faulende Lilien auf dem Kompost. Über allem das Surren der Bienen und Fliegen. In dem grellen Licht der trockenen Hitze schien der Kirchhof zu schrumpfen, eine gestochen scharfe Miniatur in gleißender Buntheit, die den Augen weh tat. Ich hätte immer so knien mögen, mit brennendem Nacken, meine Hände in die Erde vergraben zwischen den gelben und blauen Stiefmütterchen, vergraben in die Erde über Großvaters Sarg.
    Hu-hu, Maria! Wir fuhren zusammen. Ein schwarzes, rundes Figürchen fuchtelte wild mit den Armen. Frau Bender. Zu ihren Füßen im Kotoneaster auf dem Familiengrab des Großbauern Karrenbroich ihr Sohn. Er hackte in der trockenen Erde zwischen den Steinplatten, daß der Staub aufwirbelte, und hielt auch nicht inne, als wir stehenblieben. Peter, sagte seine Mutter, hier is et Heldejaad. Meinen Blick vermeidend, sah sie die Mutter vielsagend an. Vor meinen Augen stand das hellblaue Plakat.
    Guten Tag, Peter, flötete ich. Ist das eine Hitze, was? Die Bienen summten, die Grillen zirpten, von der Weide nebenan muhte unwirsch eine Kuh. Peter richtete sich in Zeitlupe auf. Besser, er wäre hocken geblieben in seiner speckigen Lederhose, die ihn sperrig umstand, von Hosenträgern in der Schwebe gehalten. Aus dem engen Netzhemd brannten Hals, Nacken, Schultern und Arme feuerrot. Tach, sagte er lässig, fast aufsässig, wischte sich die rechte Hand an der rechten Hinterbacke ab und streckte sie mir gekrümmt entgegen. Mit zwei Fingern schüttelte ich sein Handgelenk, daß die Erde rieselte. Die beiden Mütter nickten sich bedeutungsvoll zu. Meine Mutter hatte es plötzlich eilig, behauptete, einen Kuchen im Herd zu haben, und drückte mir die Gießkanne in die Hand. Machte aber nach ein paar hastigen Schritten kehrt und tuschelte Peters Mutter etwas ins Ohr. Auf dem Heimweg schaute sie mich verschwörerisch an. >Wenn alle Brünnlein fließen, so muß man trinken, wenn ich mein Schatz nicht rufen darf, tu ich ihm winken. Wenn ich mein Schatz nicht rufen darf, ju-ja rufen darf, tu ich ihm wihinken<, sang die Mutter vor sich hin. Sie ging aufrecht, mit schwingenden Armen, als hätte sie eine Last von sich geworfen und liefe einer Hoffnung entgegen.
    In der Borromäusbücherei sah ich unter Spanien nach und nahm den >Don Quichotte< mit nach Hause. Ich brauchte Gesellschaft.
    Georg arbeitete in diesem Jahr nicht bei Maternus. Seine Stelle hatte ein stämmiger, untersetzter junger Mann. Er studiere Maschinenbau,

Weitere Kostenlose Bücher