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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Sonntagsanzug am Montag. Ein grüner Schlips mit blauen Streifen würgte seinen sonnenverbrannten Hals. Unschlüssig trat er von einem Bein aufs andere, unter der Bügelfalte zeichneten sich kernige Oberschenkel ab. Trotz seiner Verkleidung sah er den Marmorstatuen aus dem Geschichtsbuch ähnlich, Augustus oder Apollo mit Lorbeer im Haar. Die gerade Linie von Stirn und Nasenrücken, der Mund mit kurzen, vollen Lippen. Augen von einem Grün wie die Wiesen am Rhein nach einem warmen Mairegen. Aber es war doch Peter Bender.
    Tach, Heldejaad, sagte er, isch han auf disch jewartet. Er brach ab. Seine rechte Fußspitze in soliden braunen Lederschuhenscharrte im Staub. Ich schwieg und genoß seine Verlegenheit. Immerhin. Besser der Falsche als niemand.
    Die Mutter hat jemeint, isch sollte mal nach dir kucken, brach es aus Peter heraus.
    Nett von dir, erlöste ich ihn und gab ihm die Hand. Er wagte sie kaum zu drücken.
    Has du en bißjen Zeit?
    Ich nickte.
    Vielleischt für en Eis?
    Genauso fängt Normales normalerweise an. Ich wollte es haben. Prima, sagte ich.
    Peter schwitzte. Immer wieder fuhr er mit zwei Fingern in den Nacken, um den Hemdkragen zu lockern.
    Mach dir doch den Schlips ab, schlug ich vor.
    Meins de wirklisch? Die Mama meint...
    Ja sicher. Peter sah mich dankbar an. Er knüllte die Krawatte in seine Hosentasche; die breite Spitze hing ein Stück heraus.
    Peters weitem Schritt konnte ich kaum folgen. Nicht so schnell, sagte ich. Mein Begleiter fuhr zusammen, hielt den rechten Fuß sekundenlang in der Schwebe, ehe er ihn sachte, als fürchte er, etwas zu zertreten, wieder aufsetzte. Dann, wie zur Entschuldigung, sagte er: Fuffzehn, fuffzehn Jräber waren et heute. Isch bin seit fünf op dem Kerschhof. Deshalb könnt isch so früh aufhören. Peter sprach mit mir wie mit einer Respektsperson, wie die Großmutter mit dem Pastor. Nur wenn ich fragte, redete er. Das jedoch ausführlich. Wie jedes männliche Wesen brauchte man auch Peter Bender nur nach dem zu fragen, was ihn interessierte. Bis wir an Süß' Eisdiele angekommen waren, hatte er die ersten sechs Gräber bepflanzt. Was im Schatten, was in der Sonne gedieh, in schwerer oder leichter Erde, wie teuer ein halbes, ein ganzes, zwei Dutzend Stiefmütterchen kämen, ein Büschel Erika, Wacholder, halbhoch, erfuhr ich vor meinem Fürst-Pückler-Eisbecher, den ich während der Gräber sieben bis neun auslöffelte. Auf dem Heimweg wurden die restlichen Ruhestätten gestaltet. Mitten unter dem Bogen des Schinderturms blieb er stehen, um mit weit ausholenden Bewegungen die Schwierigkeiten beim Aufbringen von Blumenerde zwischen Kiesel und Buchsbaum zu demonstrieren. Peter war in Fahrt ge-raten und unversehens wieder ins Platt verfallen. Hi e Pöngel- sche [61] un do e Pöngelsche, eiferte es aus seinen klassisch geformten Lippen. Un jenau muß et sin, janz jenau. Er ergriff mein Handgelenk. Ein wildes Fahrradklingeln ließ uns zusammenfahren. Zeternd beschwerte sich die Tante, daß wir den Verkehr op de janze Schollstroß lahmlegen würden. Spätestens morgen würde jeder wissen, daß ich mit Peter Bender im Sonntagsanzug montags mitten durchs Dorf gegangen war.
    Er trug wieder seinen Sonntagsanzug und das Hemd von gestern, weißes Nyltest, am Kragen gelblich durchgeschwitzt, die Hosentasche schon vom Schlips gebeult. Wie genoß ich die Blicke von Therese Böhl, die noch immer vergeblich adrette weiße Kragen und Armelaufschläge an Kleider und Blusen knöpfte, von Friedchen Drutt, die morgens und abends ihre Füße in enge, hochhackige Pumps zwängte und damit von der Bahn zur Fabrik und zurückstöckelte, ihren wohlgefüllten engen Rock nach rechts und links schwenkend wie der Fischer sein Netz. Niemand war bisher hängengeblieben. Und ich, noch op de Scholl, wurde erwartet von einem im Anzug. Morgen würde er den Schlips so lange tragen, bis ihn alle an seinem Hals gesehen hätten. Wortlos schleuderte ich Peters rechten Arm auf seine Brust, hängte mich ein und stolzierte mit ihm davon. Ich spürte die Blicke der Frauen im Rücken, krampfte meine Finger in den Anzugstoff auf Peter Benders Oberarm, klopfte ihm fürsorglichfraulich ein unsichtbares Staubkorn vom Revers. An der nächsten Ecke ließ ich ihn fahren.
    Wir aßen wieder Eis. Von Gräberpflege hatte ich genug. Ich fragte nichts. Peter sagte nichts. Den Weg nach Haus nahmen wir durch die Anlagen. Vor dem Untergestrüpp einer Hecke ging mein Begleiter wie vom Donner gerührt in die Knie.
    Was ist los?

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