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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Markt hatte, aber eine genaue Ortsangabe erhöht die Glaubwürdigkeit jeder Geschichte. Die Sankt-Annen-Apotheke direkt beim Rathaus. Ein Rathaus hatte schließlich jedes Dorf. In dieser Apotheke geschah es.
    Ich sah Hanni an. Sie hatte ihre Augen auf die Wand geheftet und war schon auf dem Weg in die Apotheke.
    Emma, die Apothekerfrau, kam aus Michelrath.
    Däm Kaff, fuhr Hanni dazwischen.
    Ja, wirklich, aus dem Kaff, bestätigte ich. Da hat der Bavarius, so heißt, hieß, verbesserte ich mich, der arme Mann, sie kennengelernt. Er hatte einen Platten und der Vater von der Emma ein Fahrradgeschäft. Der Vater von dem Bavarius war schon tot. Und der junge Bavarius hatte die Apotheke nach dem Studium übernommen. Seine Mutter, die lebt ja noch, stand mit im Geschäft. Bavarius, der junge Bavarius, er heißt, hieß, glaube ich, Karl, hatte es eigentlich gar nicht nötig, Fahrrad zu fahren. Aber er war ein gesunder Mann, ernährte sich von Gemüse und Joghurt, Hanni verdrehte die Augen, trank nicht, rauchte nicht und fuhr eben Fahrrad statt Auto. Man sah ihn auf keiner Kirmes und bei keinem Schützenfest, und so war es kein Wunder, daß er, obwohl doch eine gute Partie, mit über Dreißig weder Frau noch Braut hatte.
    Hm-hm. Hanni wiegte zweifelnd den Kopf. Un wie sah dä aus? fragte sie. Weiß de dat zufällisch, un wat dä für ene Charakter hatte, weiß de dat? Doröp kütt et an, Hanni nickte bekräftigend, op dä Charakter. Zufällig wußte ich. Nein, schön sei er nicht gewesen, der junge Bavarius, ganz im Gegensatz zu seinem verstorbenen Vater, einem schönen Mann, was leider auch anderen Frauen nicht entgangen sei. Geradezu aufgeblüht sei die Mutter, als der Vater gestorben und sie der ständigen Sorgen um Treue oder Untreue, was schließlich keinen Unterschied mache, ledig gewesen sei. Trotz seiner gesunden Lebensführung sei der junge Bavarius ein dicklich untersetzter Mann gewesen, mit rotem, gutmütigem Gesicht, wäßrigblauen Augen und blaßbraunen Haaren, hilfsbereit, zuverlässig, freundlich, aber ohne jede Spur von Humor. Lächeln sehen habe man ihn zwischen seinen
    Tuben, Tiegeln, Fläschchen und Gläschen von morgens bis abends, lachen hören niemals.
    Hanni ließ das Bügeleisen über eine eingesprengte Unterhose zischen. Jetzt hatte sie Karl den Jüngeren vor Augen.
    Also, fuhr ich fort, drei Tage nach dem ersten Platten hatte Bavarius den zweiten, zufällig wieder genau vor dem Michelrather Fahrradladen. Emma wieder hinter der Theke. Den Tag darauf brauchte er eine Luftpumpe, dann Flickzeug für die Reifen, und am nächsten Sonntag ging er mit Emma in Rüpprich zum Schützenfest.
    Karl Bavarius tanzte schlecht, und er hatte nichts dagegen, daß Emma von einem Arm in den anderen flog, wenn sie nur in den Pausen zu ihm zurückkehrte und ihn vor allen anderen bevorzugte. Das tat sie. Gewissenhaft und erfolgreich. Vier Wochen später hielt er um ihre Hand an, übrigens gegen den Willen seiner Mutter, wie nach der Tragödie bekannt wurde. Emmas Eltern stimmten mit Freuden zu. Der Ruf ihrer Tochter war nicht der beste. Sie ging auf die Fünfundzwanzig zu. Die Apotheke lief gut, das Fahrradgeschäft schlecht.
    Von der Hochzeit sprach man noch mit Bewunderung, als der Haussegen schon schief hing. Die Mutter ließ ja auch keine Gelegenheit aus, sich einzumischen.
    Hanni ächzte und preßte das Bügeleisen auf eine Schürze.
    Die Mutter, so resolut und tatkräftig wie ihr Sohn weich und nachgiebig, trug also ihren Teil bei. Die Hauptschuld aber lag bei Emma. Ihr Mann hatte sie als schmuckes Persönchen kennengelernt, nach der neuesten Mode gekleidet und frisiert, dazu von Felgen, Mänteln, Naben schwatzend, als verstünde sie etwas davon. In seinen Träumen hatte er sie im gestärkten Kittel hinterm Apothekentisch gesehen, kleine Wehwehchen allein durch ihren appetitlichen Anblick vertreibend. Abends würde seine Emma dann wieder das weiße Popelinekleid mit den roten Mohnblumen anziehen, in dem er sie zum ersten Mal gesehen hatte, nur für ihn.
    Hilla, unterbrach mich Hanni bewundernd, mer könnt denke, du wärst dabeijewesen. Dat Kleid kenn ich, dat is aus dem Quellekatalog von vor zwei Jahren. Mir war dat zu teuer und auch zu tief ausjeschnitten. Aber mit so enem Tellerrock. Hanni wickelteeinen Bettbezug um die mollige Taille und wirbelte durch die Wohnküche. Wie sah dat Emma denn aus? Weiß de dat zufällisch?
    Zufällig wußte ich auch das. Schwarze Locken um ein ebenmäßiges Gesicht mit dunklen Augen,

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