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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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mich.
    Nützlich erwies sich die Fernsehtruhe. Die >Tagesschau< sah ich hin und wieder, doch Frau Wachtel war an einer Sonderkonferenz der drei Westmächte in Oslo, in der es um die Selbstbestimmung Deutschlands ging, am Besuch des Bundespräsidenten in Togo oder des französischen Präsidenten in Bonn ebensowenig interessiert wie an Chruschtschows Begegnung mit dem amerikanischen Präsidenten in Wien. Wissen wollte sie hingegen, ob ich die nackte Brust von Romy Schneider gesehen hätte, in einem Theaterstück, so was Griechischem auf modern gemacht. Ich hatte sie gesehen. Nein, sagte ich. Ein paarmal gab sie mir direkte Aufträge: >Sing mit mir - spiel mit mir<, Onkel Lou sollte ich mir ansehen und sagen, wer gewonnen hatte. Wer bei Peter Frankenfeld in der Sendung >Toi Toi Toi< aufgetreten oder was in der >Rudi-Carrell-Show< losgewesen sei; bei Vivi Bach und Dietmar Schönherrs Wünsch dir was< sollte ich zusehen, wo man mit verbundenen Augen das Geld aus einem Glaskasten holen mußte. Im Kasten lag eine Python-Schlange. Nach einmal Onkel Lou, der mit einem zappeligen, hochtoupiert blondierten Mädchen auftrat, das er als seine Nichte ausgab, ließ ich unseren Fernsehapparat kaputtgehen, ja leider, versicherte ich Frau Wachtel, die Truhe mußte abgeholt werden, und bediente sie wieder mit Nachrichten aus Heim und Garten.
    Meine Hoffnung, sie würde dieser Belanglosigkeiten bald überdrüssig werden, erfüllte sich nicht. Erzählte ich ihr zum x-ten Male, daß ich Socken gestopft hatte, was ich nie tat, wollte sie Sockenfarbe und Qualität wissen, Wolle oder Baumwolle, kurze Socken, lange Socken, mittellang; ob ich mit Stopfei stopfe oder ohne, mit einem Fingerhut oder keinem, ob ich im Gittermuster stopfe oder Strickverfahren, so daß ich mich am Ende wirklich zum Sockenstopfen bequemte, um Rede und Antwort stehen zu können.
    War der Arbeitstag zu Ende, floh ich das Büro wie verseuchtes Gelände. Immer unvollkommener vermochte ich mich abends wieder zusammenzusetzen, über den Büchern die Wörtgeräusche des Büros zum Verstummen zu bringen, mich mit kräftigen
    Rhythmen der Klassik, schwelgerischen Melodien der Romantik zu entgiften. Es wurde schwieriger von Tag zu Tag. Frau Wachtel wucherte in meine freien Stunden hinein.
    Ich mußte mich ihrer Macht entziehen. Stenographieren lernen. Maschineschreiben. Zehnfingersystem. Anstatt mich abends in ein Buch zu verkriechen, brütete ich im Holzstall über Schreibmaschine und Stenographie. Ich hatte im Büro die Tastatur abgezeichnet und maßstabgetreu auf Packpapier gemalt. Um dennoch mit meinen Büchern zu sein, schrieb ich außer den Fingerübungen des Lehrbuchs auch aus Büchern ab, am liebsten aus den >Zürcher Novellen<. Von arbeitenden Menschen zu schreiben würde mir meine Fron erleichtern, hoffte ich. Aber die Bücher ließen sich nicht mißbrauchen. Bald sah ich, schlug ich eines auf, nur noch Kürzel, Lexel, Aufstrich, Schlaufen, Schlingen, spitze Kehren.
    Meine eigenen Wörter, die guten, schönen und wahren Wörter verwandelten sich in die Wörter der Fabrik. Ein >Herr< war nicht länger ein schöner, vornehmer, männlicher Mensch, sondern ein Geschäftsmann, Holzlieferant, stiller Teilhaber. Aus Fichten und rauschenden Wäldern wurden Kubikmeter Holz, aus dem Holz Papier. In der Fabrik wand sich das Papier auf riesigen Rollen, Papier für meine Bücher, Papier für die >Sehr geehrten Herren<, Papier für Buchstaben und Wörter jeder Art. Ich begann sie zu fürchten. Sie waren nicht mehr selbstverständlich wie die Haut am Leib, die Jahreszeiten. Die Steine am Rhein. Die Fabrikwörter bekamen die Überhand. Soviel schlimmer waren sie als das Platt der Eltern, der Leute im Dorf. Sie waren fehlerlos, sachlich, nützlich und begannen, mich von meinen Büchern abzudrängen. Bürowörter und Frau-Wachtel-Sätze, die wandhohen Reihen von Aktenordnern in der unwandelbaren Ordnung des geliebten Alphabets fraßen sich in meine Sätze, überzogen sie mit Schimmel und Rost bis sie verrotteten, erstickten wie ein Garten in immerwährendem Schatten. Mein Schiller, mein Nathan, mein Kleist, mein Faust, meine Zettel im Schuh. Es kam vor, daß ich nicht mehr an mich halten konnte, aufs Klo rannte, zitternd auf der Kloschüssel saß und den Zettel anstarrte, seine scharf geknickten, vom Fuß zerknitterten Rechtecke. >Füllest wieder Busch und Tal still mit Nebelglanz, lösest endlich aucheinmal meine Seele ganz.< Mühsam nur drangen die Worte in meinen Kopf. In mein Herz

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