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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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drangen sie nicht mehr. In meiner Seele löste sich nichts.
    Zuerst lebten die Geschichten nicht mehr. Zuletzt starben die Gedichte. Bücher waren Zeilen voller Zeichen, Fäden unterschiedlicher Länge, Wörter genannt. Zeilenhaufen, Buchstabenschnüre. Und das blieben sie auch.
    Zuletzt, es war an einem späten Juninachmittag, Sommeranfang nicht weit, ich hatte es noch einmal mit der >Ringparabel<, dem >Prolog im Himmels einigen Balladen versucht - vergeblich. Meine Wörter, sonst Luft zum Atmen, staken mir wie ein Knebel im Mund. Zuletzt griff ich zur Bibel. Die Heilige Schrift. Gottes Wort contra Wachtels Wort. >Im Anfang war das Worts schrie ich. >Das Wort! Das Wort!< Schrie so laut, daß der Vater im Schuppen sein Hämmern unterbrach und an meine Stalltür klopfte.
    Wat es dann he los?
    Nix, rief ich, ohne die Tür zu öffnen, reglos, bis ich den Vater wieder hämmern hörte.
    Das Wort war nicht bei Gott. Es war in der Fabrik. In den Aktenordnern. Auf dem Briefpapier. Bei brutto und netto, Kredit und Debet, Devisen und Bilanz.
    Die Wörter schwiegen und grinsten mich mit zusammengekniffenen Wachtellippen an. Einmal, ich hatte begonnen, Englisch und Hochdeutsch zu lernen, hatten mir nachts im Traum die kölschen Wörter den Krieg erklärt und die feinen, hochdeutschen aus dem Felde geschlagen.
    Meine Bücherwörter kämpften nicht. Sie entzogen sich. Vornehm, resigniert. Wer nicht für sie war, der war gegen sie. Ich war eine Abtrünnige. Ich diente der Gegenmacht, der Gegenwelt, Geschäftswelt. Dem Geld. >Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles.< Ich diente mit Wörtern, Nutzwörtern. Die den schönen, den immer Unterlegenen, manchmal sogar zum Verwechseln ähnlich sahen. Bei mir blieben die Bürowörter: herrisch, allmächtig, allgegenwärtig, in Nadelstreifen und tannengrünen Kostümen, Schlips und Kragen, mit Luftbefeuchter und Kantine, Hochachtungsvoll.
    Dem Bruder war es endlich gelungen, Sigismund heimlich zubesuchen. Er habe wieder eine Lungenentzündung und lese Gedichte von einem Gottfried Benn. Eines habe Sigismund mir abgeschrieben. Er müsse wohl ins Krankenhaus.
    Mit der >Krebsbaracke< unterm Fuß machte ich Ablage, füllte regelmäßig Dr. Viehkötters Luftbefeuchter auf, holte Kaffee, befriedigte Frau Wachtels boshafte Neugier, machte meine Fingerübungen, alles wie gewöhnlich. Äußerlich. In mir fühlte ich nichts mehr. Keine Auflehnung. Keine Verzweiflung. >Glut gibt sich fort. Saft schickt sich an zu rinnen. Erde ruft.< Ich war einverstanden. Schwarz, kalt, gleichgültig. Frau Wachtel war mir egal, Dr. Viehkötter, die Fabrik, ich selbst war mir egal. Ein Rädchen und Schräubchen. >Du siehst die Fliegen.< >Wie man Bänke wäscht.«
    Am Samstag wartete ich, bis alle aus dem Haus waren. Mutter und Großmutter saßen mit dem Frauenverein in Bötschs Bus auf der Wallfahrt nach Neviges, der Vater arbeitete im Garten des Prinzipals, der Bruder übte Rollstil am Rhein.
    Nach dem Tod des Großvaters hatte die Mutter einige Röcke und Blusen schwarz gefärbt; als Tochter mußte sie ein Jahr lang Trauer tragen. Etwa die Hälfte des Färbemittels war übriggeblieben. Ich machte Feuer, hängte den Schlauch in den Murpott, ließ ihn beinah vollaufen, tat die Färbekörner dazu, rührte gut um und warf meine Kleider hinein, Strümpfe, Schlüpfer, Hemden, Röcke, Blusen, Hosen. Alles schwamm locker in der schwarzen Brühe. Ich ließ es auf kleiner Flamme brodeln und drei Stunden stehen, zog die Teile heraus und spülte in zwei Zinkwannen mit kaltem Wasser nach. Heraus kamen pechschwarze Kleidungsstücke, die ich zum Trocknen aufhängte oder auf der Wiese ausbreitete, schwarze Gespenster, köpf- und beinlose Wiedergänger, die in der Sonne nach und nach ihre wahre Fratze bekannten, Schwarz in allen Schattierungen, je nach Stoffart. Baumwolle und Wolle hatten die Farbe aufgesogen wie ein Schwamm, blieben tief und fleckenlos schwarz, doch das hellgrüne Taftkleid, mein Theaterkleid, und das dunkelgrüne Samtkleid entwickelten ein schmuddeliges Grau mit dunklen Flecken und Streifen, der Samt war zu einer borstigen Oberfläche geklumpt.
    Au weia, war alles, was der Bruder sagte, als er am Abend diesonnensteif getrockneten Kleider sah. Au weia. Riet mir, die Sachen schleunigst von der Leine zu nehmen und in Schränken und Schubladen zu verstauen. Eimer für Eimer schleppten wir die schwarze Brühe ins Plumpsklo, die letzten Spuren wurden mit dem Schlauch aus der Tür gespritzt. Sogar das Gras auf der

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