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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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nur ein Troubadour, ja der erlebt so allerhand.< Verschiedene Damenbegegnungen wurden geschildert, die der Sänger jedesmal in einem schallenden, melodisch geformten Gelächter beendete.
    Heinz war mit seinem Pikkolo schon fertig, grinste vor sich hin und wollte sich den Rest aus Trudis Flasche einschenken.
    Nix do, sagte Trudi und goß sich selbst ein. Mir sin noch nit verhierod. Es war das erste Wort, das ich von ihr seit dem Pakt am Rheinufer hörte.
    Richtig, Trudi, sagte ich, laß dir nichts gefallen. Der soll froh sein, wenn er eine Frau wie dich zum Altar führen darf.
    >Hahahaha<, lachte es aus der Musikbox, >nahm ich den Schimmel und war weg<, und Heinz Holl sah aus, als wollte er stehenden Fußes ihm nach. Bis er mit Trudis Vater gesprochen hatte, durfte man ihn nicht aus den Augen lassen.
    Walter begleitete den Bruder ans Gartentor, ich blieb mit Trudi in einiger Entfernung stehen. Das Haus war nicht größer als unseres, aber freistehend und weiß verputzt. Selbst durch Gardinen und Topfpflanzen unterschieden sich die Häuser in dieser Straße kaum voneinander. Nur die Vorgärten verrieten etwas von ihren Besitzern, einige hatten sich strikt auf gemähten Rasen beschränkt, andere diesen mit abgezirkelten Rosenbeeten durchbrochen, manche sogar verschiedene Stauden in Rabatten zu pflanzen gewagt. Trudis Vorgarten gehörte zu den scharf rasierten grünen. Ein Dutzend werktätiger Zwerge bemühte sich, jeder mit seiner Gerätschaft, dieses Fleckchen Erde noch feiner herauszuputzen. Nur einer lag da und las. Lurens, sagte Trudi: Dat es der ewije Faulpelz.
    Wir mußten eine ganze Weile warten. Trudi spitzte die kugeligen Lippen und, dadam dadada dam dam dam, pfiff den >River- Kwai-Marsch< durch die sonntagsmittagsstille Straße. Ich fiel ein dadada, dam, dam, dam. Ruhe! schrie eine Frau aus dem Fenster. Pfeifend marschierten wir im Takt auf die andere Straßenseite, Trudi in ihrem fliederfarbenen Jäckchenkleid, ich im grauschwarz gestreiften Hemdblusenkleid, das einmal weißblau gewesen war.
    Dann sahen wir Walter mit den Armen rudern, uns heranwinken, auf Trudis Gartentor zulaufen, sahen, wie Heinz und Trudis Vater auf die Straße traten und sich suchend nach uns umschauten. Trudi, die davonstürzen wollte, fest im Griff, tat ich ein paar zögernde Schritte auf sie zu. Der Vater - der Vater schlägt mich tot - breitete die Arme aus. Trudi flog hinein, ein stöckelnder Flug auf spitzen Sonntagsschuhabsätzen und kurzen Schneemannbeinen unterm Kellerfaltenrock, in die Arme des Vaters, vorbei am Kindsvater, der neben dem Brautvater stand wie das
    Eckfähnchen neben dem Schiedsrichter. Seine Ohren glühten, als habe sich dort jemand grob zu schaffen gemacht.
    Trudis Vater bat uns ins gute Zimmer. Kluthes konnten sich eine Schrankwand leisten, beinah so vornehm wie die der Cousine. Auch Trudis Mutter war klein, hatte eine rote Nasenspitze und feuchte Augen. Diesmal gab es >Danziger Goldwasser< wie auf einer Kinderkommunion, und als Frau Kluthe hörte, daß wir noch nichts gegessen hatten, brachte sie einen Teller belegte Brote, über die sich der Bräutigam hermachte, als vertilge er nicht Wurst und Käse, sondern jeden der Anwesenden einzeln. Ich knabberte an einer Leberwurstschnitte, zog es vor, die Reste des perlenden Geistes mit denen des Goldwassers aufzufrischen. Wie edel mir alle Anwesenden erschienen im Namen des perlenden, goldenen Geistes, edel, hilfreich und gut war der Mensch, ich ein Mensch unter Menschen und nicht allein hinterm Hühnerstall, hier war ich Mensch und durfte es sein, am liebsten hätte ich laut gesungen oder noch einmal den River-Kwai-Marsch gepfiffen. Trudis kummervoll zerflossenes Gesicht hatte sich wieder gestrafft, den Kummer gleichsam ausgepreßt, ihre Kulleraugen blickten wieder klar und geradeaus, und ihr Mundlöchlein formte sich zu einer spitzbübischen Schnute, wenn die Mutter vom Kindersegen sprach. Der Vater sagte wenig. Saß auf dem Sofa zwischen Frau und Tochter, die Arme rechts und links mal auf der Sofalehne, mal auf ihren Schultern, er hatte sein Heim im Griff. Seine Hände lagen groß und grau auf dem abgewetzten Plüsch, Zement und Mörtelstaub bekam Herr Kluthe ebensowenig aus Poren und Hautfalten wie der Vater die Schmiere von den Maschinen.
    Heinz schnappte das letzte Brot von der Platte, rülpste ungeniert: Jiddet och e Bier? Trudi sprang auf und brachte ihm eines, sogar mit Glas. Ohne zu schlucken, goß er das Bier direkt aus der Flasche die Kehle hinab: Dat

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