Das verborgene Wort
unterm Baldachin aus weißer, gelb bestickter Seide, den vier Kirchenvorstandsmitglieder trugen, der Pastor, vor der Brust die Monstranz. Ihnen entgegen, mit Trommeln und Fanfaren, Fahnen und Hakenkreuz, die SA.
Se wollte su dun, als wöre mer ja nit do, sagte Onkel Schäng empört. Einfach durchmarschieren wollten sie durch Kirchenvorstand und Schützenbrüder, Jungmänner und Männer, Knaben und Mädchen, Frauen und Jungfrauen. Die mit den Schirmen und Spazierstöcken flankierten den Baldachin zum steinernen Kreuz. Auch die Kapelle, sonst in der Mitte der Prozession, war nach vorn gerückt.
Nä, nä, lachten Mutter und Großmutter, Onkel und Tanten, dat wor ene Krach. Dat höt sesch an wie am Kristoffer Krüx, sagte man seither im Dorf, wenn etwas besonders laut, schrill und mißtönend war.
Es spielten und sangen die Braunen >Die Fahne hoch< und >Es zittern die morschen Knochen<, es spielten und sangen die Frommen >Großer Gott< und >Christus, mein Königs bis allen der Schweiß von der Stirn troff. Unbeirrt sprach der Pastor seine Gebete und hob die Monstranz im Zeichen des Kreuzes zum Se-gen in den blauen Himmel, glasig vom Mittagsdunst. Die Schützenkapelle spielte nicht. Die Meßdiener schwangen die Schellen aus Leibeskräften. Die Fanfaren schrillten, die Trommeln schlugen den Takt, wer weiß, wem. Die Monstranz hoch im Sonnenlicht funkelnd über des Pastors Kopf. Da fiel der Schuß. Verfehlte das goldene Gehäuse um weniges nur und schlug ein Loch in den Stein, da, wo Jesus das Haupt auf die Schulter senkt, knapp daneben.
Der Pastor sei in die Knie gefallen, erzählte die Großmutter, die Monstranz mit beiden Händen umklammernd, und mit ihm alle anderen, die mit den Regenschirmen und Spazierstöcken bis zu den Mütterlein am Ende des Zugs. Die Fanfaren und Trommeln seien verstummt. >Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erdens habe der Pastor zu beten angefangen. Und wieder hätten alle eingestimmt, die mit den Schirmen und Spazierstöcken nicht immer richtig, aber laut und bestimmt. Sogar welche von den Braunen seien in die Knie gegangen. Nicht alle, nein, bei weitem nicht. Aber fast alle hätten doch die Mützen abgenommen und die Köpfe gesenkt, so daß man ungehindert zur Kirche habe gehen können. Denn auch die, die sich nicht gekniet hätten, wären stehengeblieben wie vom Finger Gottes gerührt, sagte die Mutter, habe der Pastor gesagt in der Kirche, fünf Minuten später. Da seien die Braunen vom Dorf mit dabeigewesen, ganz hinten, aber doch mit allen zusammen. Und die anderen seien sang- und klanglos wieder in die Elektrische gestiegen. Nachmittags aber sei trotz des herrlichen Wetters niemand auf den Straßen gewesen. Als man, so der Großvater, mit >Christus, mein König, dir allein schwör ich die Treue lilienrein< in die Kirche zurückgezogen sei, habe aus dem Turmfenster von St. Gereon zum ersten Mal die Hakenkreuzfahne gehangen.
Auf unserem nächsten Gang an den Rhein drängte ich den Großvater zum Kristoffer Kreuz. Das Loch neben der Dornenkrone war wirklich da.
Jut, sagte der Großvater und nahm den Bruder und mich an die Hand, dat ihr zwei do noch nit op dä Welt word.
Das fand ich auch. In den Büchern war das Böse gut aufgehoben.
Da zeigte der katholische Filmdienst einen Film. Von der Kanzel herab forderte Kreuzkamp die Gemeinde auf, die Vorstellung zu besuchen, im Saal neben der Turnhalle.
Die Schulkinder sahen den Film während des Unterrichts. Auch die evangelischen. So etwas hatte es noch nie gegeben. Stumm vor Aufregung rutschten wir auf unseren Stühlen, nur die Kecksten ließen Papierflieger torkeln oder schnellten spuckefeuchte Geschosse von Einmachgummis.
Der kleine, gelblich aussehende Mann vom Filmdienst kam mit allen Lehrern und dem Rektor.
Kinder, räusperte sich der Rektor, Kinder. Umständlich nestelte er an einer Jalousie, die nicht dicht schloß. Kinder, sagte er ein drittes Mal und stockte wieder. Der Rektor war ein kranker Mann. Er habe im KZ gesessen, munkelte man. Er war erst nach dem Krieg ins Dorf gekommen und lebte allein. Gelegentlich wohnte ein junger Mann bei ihm, ein Neffe. Er hatte viele Neffen.
Also, Kinder, sagte der Rektor. Diesen Film habe nicht ich, hat nicht die Schule für euch ausgewählt. Wir zeigen ihn an den Schulen auf Wunsch der Besatzung. Ich habe diesen Film auch noch nicht gesehen. Es ist wohl ein trauriger Film, aber auch ein wahrer. Was ihr in diesem Film seht, ist wirklich passiert.
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