Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
Vom Netzwerk:
Leder mit einem goldenen Reißverschluß. Ich führte das Etui an die Nase, sog genüßlich den Geruch des Leders ein.
    Wat jit et dann do ze schnüffele, nu treck dat Deng ald op! sagte die Mutter und wollte mir den Gegenstand aus der Hand nehmen.
    Nu loß doch dat Kenk, sagte Tante Lisa und legte einen Arm um mich. Ich zog den Reißverschluß auf, klappte die Hälften auseinander.
    Nä sujet, sagte die Mutter.
    Wat soll dat dann, sagte die Großmutter.
    Wat ene Quatsch, sagte Tante Berta.
    Auf blauem Samtbett staken in zierlichen Schlaufen zwei kleine Scheren, eine etwas breiter als die andere, staken eine Pinzette und zwei weitere Gegenstände, die ich weder zu bezeichnen noch zu verwenden wußte.
    Wat es dat? fragte ich.
    Dat is en Nässesähr, sagte die Cousine aus Miesberg. Schweigen. Wat Feines für die Hand. Sie streckte ihre Linke vor und bewegte die Finger mit den gelackten Nägeln, als klimpere sie auf einem Klavier.
    Betreten schauten die Frauen auf ihre Hände. In jedem Haushalt gab es zwei Scheren, eine große für Blumen und Papier und eine kleine für Nähkasten und Nägel, wenn diese nicht ohnehin abbrachen, aufgeweicht von den scharfen Laugen und Putzmitteln, von der Arbeit im Garten, auf dem Feld, im Stall. Das Nässesähr ärgerte sie, das Nässesähr wor Quatsch, nix för usserens. Nur Tante Gretchen aus Ruppersteg entschied, daß dieser Gegenstand auf einer Stufe mit dem Zigarrenabschneider ihres Mannes stehe. Sie genoß es, der Cousine aus Miesberg ihre kurzen Finger zu überlassen, und so erfuhr ich am Tag, an dem ich mich mit Christus vermählte, daß jeder Mensch ein Nagelhäutchen hat, das es zu kappen galt.
    Ihren Höhepunkt erreichte die Stimmung nach der Dankandacht bei Kaffee und Kuchen. Das Kommunionkind hatte seine Schuldigkeit getan, und nun konnte man endgültig zum weltlichen Teil des Tages übergehen.
    Es doch sunneklor, dat dat Minsch dem Kääl de Stang hält, sagte Onkel Adolf, der seinen Kaffee nie ohne Taufe aus der Hosentasche - seinem cognacgefüllten Flachmann - trank, tod-ernst, und alles prustete. Wie albern Erwachsene waren, wenn sie nicht arbeiteten oder in die Kirche gingen. Neben Tanten und Cousinen wirkten die Männer, bis auf Onkel Adolf, wie Stäbe in einem Staudenbeet, zu nichts anderem nütze, als all die angetraute Pracht zu stützen. Die Frauen sprachen von ihren Ehemännern nur als >er<, mit einer gewissen Betonung, und vermieden es, sie beim Namen zu nennen. Die Männer waren noch immer dünn und trugen heute einen Anzug, den sie mit ihren Frauen in Köln bei C& A gekauft hatten, in einer Farbe, die >ge- deckt< hieß. So lange nach dem Krieg sahen sie noch immer uniformiert aus. Onkel Otto hatte ein verkniffenes, langes, ergebenes Gesicht, wie Märtyrer im Heiligenbuch, die darauf warteten, daß römische Soldaten ihnen die Zunge rausschnitten. Onkel Otto brauchte seine Zunge kaum, konnte stundenlang dasitzen, ohne einmal den Mund aufzumachen. Das besorgte seine Frau für ihn mit. Tante Berta Großenfeld, so genannt, weil Tante Berta aus Dondorf den Vorrang hatte. Tante Berta Großenfeld krachte bei jeder Bewegung; das waren die Fischbeinstäbchen in ihrem Korsett. Und jedesmal, wenn es krachte, ächzte die Tante. Ihre weißblonde Dauerwelle wuchs aus dem Stehkragen des taubenblauen Jäckchenkleides wie ein krauser Blumenkohl. Sie roch auch so, denn sie hatte es seit Jahren an der Galle. Ihr schweres Gesicht, großporig und mit roten Hängebacken, erinnerte an eine Art Hund. Wo immer die Tante war, führte sie das Kommando.
    Onkel Otto und Tante Berta Großenfeld hatten drei Söhne, wie de Orjelpiefe, drei, sechs und zehn Jahre alt. Karli, der Kleinste, galt als bockig. Ich wußte, was das heißt. Im letzten Jahr, so die Tante, habe der Nikolaus daher den Knecht Ruprecht mitgebracht. Hier machte sie eine Pause und flüsterte einer der Rüpp- richer Tanten etwas ins Ohr, worauf diese sich aufkreischend auf die Schenkel schlug und rief: Nä, dä brutale Kääl. Tante Berta Großenfeld nickte gewichtig, versicherte, Knecht Ruprecht habe alles gewußt, jedes Vergehen, jede gute Tat, von letzteren habe bei Karli allerdings nicht die Rede sein können. Hans und Peter seien vom Nikolaus belohnt worden, Karli jedoch, ein heller Kopf übrigens, der schon bis zwanzig zählen konnte, sei von Knecht Ruprecht zum Mitzählen seiner Vergehen aufgefordert worden und bis sechzehn gekommen. Er sei sogar noch stolzdarauf gewesen, dä Dämlack, so die Tante, habe sich wohl gar

Weitere Kostenlose Bücher