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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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zusammenschmiedete.
    Daß seine Frau, Tante Lisa mit den wippenden Ohrringen, nicht müde wurde zu verkünden, >der ist mein Martyriums dennoch bei ihm blieb, empörte die Verwandtschaft stets aufs neue. Insgeheim aber gefiel es ihr doch. Hinter vorgehaltener Hand tuschelten die Tanten, dat Lisa sei dem Kääl hörisch. Wat is dat,hörisch, fragte ich. Dann mußt du jehorsche, ob de wells oder nit, sagte Cousine Hanni. Gehorchen, ohne zu wollen. Das war allerdings ein Martyrium. Dann bin isch dem Papa hörisch. Hanni lachte und stopfte mir eine Weinbrandkirsche in den Mund.
    Mißtrauisch wurde die Cousine aus Miesberg beäugt. Sie lackierte ihre Fingernägel und ließ dabei den Nagelmond frei, hellrosa wie die Röschen auf ihrem grünen Kleid. Aber ich sah ihre Todsünden zahlreich und deutlich durchschimmern. Ihre Strümpfe knisterten und schabten, wenn sie die Beine übereinanderschlug. Von Zeit zu Zeit trat sie ans Fenster, öffnete ihre Handtasche und klappte ein flaches Kästchen auf, tupfte den Zeigefinger hinein und rieb sich damit kreisförmig über beide Wangen, die sich unter der Hand himbeerrot färbten, als bepinsele sie eine weiße Wand. Mit ihr gab es eine Verbindung zur Welt, zur wirklichen, gefährlichen, großen Welt. Sie war Schaffnerin auf der Linie, die zum Bahnhof fuhr, und konnte mit Kindern und Kranken so gut fertig werden wie mit Betrunkenen und Hunden. Einmal habe sie einen Besoffenen, der keine Ruhe geben wollte, mit dem Hund eines Blinden zur Räson gebracht. Sogar in der Gewerkschaft sei sie, munkelte man. Aber verlobt, nein, verlobt war sie nicht. Das mußte sie eingestehen, als Cousine Maria ihr den Ring mit dem Aquamarin unter die Nase hielt. Dafür konnte sie mit weit in den Nacken geworfenem Kopf Rauchkringel aufsteigen lassen, besser als jeder Mann, und ihre Zigarettenspitze halten wie das Fräulein im Kino, wenn es flötete: >Aus gutem Grund ist Juno rund.< Neben der Cousine aus Miesberg saß, schweigsam und bescheiden, die aus Lierenfeld. Sie war als Kind mit dem linken Arm in den Wringer gekommen. Der Arm hörte kurz überm Handgelenk auf, ihre Kleider und Blusenärmel fielen locker und lang über die Verstümmelung, die sie wie eine heilige Herrlichkeit verbarg. Der Bruder und ich waren versessen darauf, einmal einen Blick auf das vernarbte Gewebe zu tun. Es gelang uns nie.
    Wo diese beiden Cousinen saßen, wurde getuschelt, geflüstert, gekichert, kurz, alles getan, damit wir Kinder die Ohren aufstellten.
    Wat is dat, verjewaltigen? fragte Cousine Gretel, zwei Jahre älter als ich, die dieses Wort gerade aufgeschnappt hatte.
    Wenn dir ener ding Böchs [35] kapott maat, sagte die Cousine aus Miesberg und zog an ihrer Zigarette.
    Ding Düsje [36] , kiekste der Cousin aus Wupperfeld, dem der erste Flaum sproß, und strich sein mit Wasser straff gekämmtes Haar zurück.
    Wat für en Böchs? fragte Gretel. Aber da fuhr die Großmutter dazwischen und erklärte, Büxen seien etwas für Erwachsene, und die Cousine aus Miesberg paffte und schwieg. Aber mit den Augen sprach sie weiter. Und wie. Erwachsene können mit den Augen gleichzeitig etwas ganz anderes sagen als mit dem Mund.
    Während ich meine Geschenke besah, stand sie hinter mir. Et is och schon jeweiht, nickte Tante Berta nachdrücklich, so den Wert des ziselierten Silberkreuzes verdoppelnd, ja verdreifachend, als ich das Kästchen öffnete und sie mir half, das Kettchen im Nacken zu schließen. Vom Patenonkel gab es eine Armbanduhr an einem schwarzen Wildlederband, die, wie er verkündete, auf siebzehn Steinen lief, was immer dieser magische Vorgang bedeuten mochte. Sie lief auf diesen Steinen aber nur ein halbes Jahr, und nur sonntags, wenn ich sie umlegen durfte, wurde ein paarmal eingeschickt, wie der Uhrmacher versicherte, und dann hatte ich genug von einer Uhr, die auf Steinen stand und nicht lief.
    Auch Bücher bekam ich geschenkt, >Hilde tippt sich zum Er- folg< und »Hildegard im Krankenhaus«;, die mir ein Fortkommen als Bürokraft oder Arztgehilfin in Aussicht stellten, bevor man den Seinen abkriegt. Ich gab sie gleich am nächsten Tag an Hannelore weiter.
    Die größte Aufmerksamkeit aber zog ein geheimnisvolles Päckchen auf sich, das Fräulein Kaasen der Mutter mitgegeben hatte und das ich nun unter den Augen der Mutter, der Großmutter, der Tanten und Cousinen öffnete. Ich hob den Deckel, fühlte Seidenpapier, schob es beiseite und zog ein Etui hervor, etwa daumesdick und gut männerhandgroß, rotes, genarbtes

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