Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
Vom Netzwerk:
ein Lob, wenigstens aber Vergebung erhofft. Doch dann habe Knecht Ruprecht seinen Sack aufgemacht und eine Rute herausgeholt, kaum kürzer als Karli. Ich sah noch, wie bei diesen Worten der Cousin aus Wupperfeld die Cousine aus Miesberg angrinste, bevor ich in peinvoller Ohnmacht die Augen niederschlug. Ich wußte, was kam. Sechzehnmal habe er es ihm gegeben, bis sechzehn habe Karli mitgezählt, laut und deutlich. Knecht Ruprecht habe immer gewartet, bis das Kind wieder genug Luft gekriegt hätte. Dä Jung hatt' ene Kabänes [37] wie en Christboomkujel, sagte die Tante, krachte in ihren Korsettstangen und stank. Danach habe Knecht Ruprecht mit der Rute das Kreuzzeichen in die Luft gezischt und ihr das Reisig zur weiteren Nutzung feierlich überreicht. Karli habe sich zu seinem Vater geflüchtet, doch Knecht Ruprecht sei noch nicht fertig gewesen. Ich sah die Tante an. Ihr Gesicht war rot-weiß gefleckt, ihre Äuglein blinzelten aus den Tiefen der Fettschichten, auf ihrem taubenblauen Busen wogte dunkelrot ein Kreuz aus geschliffenem Granat. Knecht Ruprecht habe den Jungen in den Armen des Vaters kurz verschnaufen lassen, fuhr die Tante fort, dann aber sei er mit rasselnder Kette - hier beugte sie sich wieder ans Ohr der Rüppricher Tante und flüsterte, diese riß die Augen auf und zischelte ihrerseits der Schwester etwas unter die Ondulation -, mit rasselnder Kette also sei er auf Vater und Sohn zugestapft, habe Karli am Schlafittchen gepackt und kopfüber in den Sack gestopft. Dat Jesischt von mingem Mann hätte man sehen müssen, sagte die Tante. Der habe dagesessen mit offenen Armen wie en Mutter Jottes, der mer dat Jesuskind jeklaut hät. Ich sah den Onkel an. War er überhaupt noch am Leben? So hatte Herr Tröster ausgesehen, als er im Sarg lag, gelbweiß wie ein Stück Kernseife, die Gesichtszüge auf unheimliche Weise zusammengeschnurrt, verkürzt in Länge und Breite. Das war nicht mehr Herr Tröster gewesen, so wie dieser Mann hier jetzt nur noch unvollkommen an den Onkel erinnerte, der Hütchen, Schiffchen und Teufelskappen aus Zeitungspapier zu falten verstand und Pfeifen schnitzen konnte, beinahe so gut wie der
    Großvater. Einzig die Kinnladen, mit denen er auf dem Stiel seiner Pfeife mahlte, bewegten sich in dem versteinerten Gesicht. Seine Rechte hielt ein Gläschen umklammert, in dem hart und rot Großmutters Aufgesetzter funkelte. Karli aber habe aus dem Sack geschrien, als gälte es sein Leben. Die Tante schüttelte mutwillig den Kopf. Papa, Papa, piepste sie mit verstellter Stimme. Papa, Papa, habe er geschrien: Jank doch wenijstens met bes an dat Pöözje [38] . Die Tante japste vor Vergnügen, prustend lachten die anderen mit. Ausjerechnet dä Papa. Knecht Ruprecht habe den Sack über die Schulter geworfen und sei davongestapft aus der Tür in den Garten. Im Sack sei es plötzlich ganz still geworden, Knecht Ruprecht ins Haus zurückgekommen. Dort habe man den bewußtlosen Karli aus dem Sack geholt und ins Bett gesteckt. Die Tante seufzte und streckte sich wie ein Sportler nach einer großen Anstrengung. Papa, Papa, wiederholte sie, jank doch wenigstens met bes an dat Pöözje. Die Erwachsenen wieherten. Nur der Großvater, der das Bett zum Kaffeetrinken verlassen hatte, schüttelte mit gesenkten Augen den Kopf. In die Stille, die dem Gelächter folgte, knackte es, als träte ein schwerer Schuh einen morschen Ast entzwei. Der Onkel hatte seine Pfeife zerbissen. Er spuckte die Splitter in sein Taschentuch, stürzte den Aufgesetzten hinunter, schob mit ungewohnter Energie den Stuhl zurück und verließ das Zimmer. Die Großmutter ließ den Aufgesetzten kreisen, auch Danziger Goldwasser, Eierlikör und Kakao mit Nuß. Besonders Kakao mit Nuß.
    Der Kaffeetisch war abgeräumt, die Frauen bereiteten in der Küche das Abendessen vor. Die jlöve wall och, dat se jitz jet Besseres sin, hörte ich die Stimme der Rüppricher Tante, als ich zur Tür hereinkam. E Weet op de Scholl ze schecke. Wo se doch nix an de Föß han. Ich schnitt ihr ein Gesicht, sie kniff die Lippen zusammen. Sie hatte als Kommunionsgeschenk eine Blutwurst mitgebracht. Ich war ihr nichts schuldig.
    Im Wohnzimmer saßen die Männer unter sich und politisierten, wie die Frauen das nannten. Es ging um die ärm Lück in der Zone, da, wo die Kommunisten hausten und auf Arbeiter schössen. Männer mit Pelzmützen über Stacheldrahtzäune in den We-sten spingsten. Ob wir wieder Soldaten haben sollten, womöglich sogar mit Atombomben. Vor

Weitere Kostenlose Bücher