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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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wurde er mit einem dünnen Pinsel bronziert, eine Verschwendung, gegen die selbst die Großmutter nichts einzuwenden hatte. Diesmal funkelte aus dem golden bronzierten Kitt grünes Gestein, grünes Glas mit goldenen Pünktchen, die Scherben der grünen Vase. Sind dat Edelstein? staunte der Bruder. Nä, sagte ich, wat Besseres.
    Du muß ken Angst han, sagte der Großvater am anderen Morgen, wenn ens jet kapottjeht. Mestens kann mer noch jet drus mache. Un manschmol muß mer jet kapottmache, sös kütt mer nit wigger. Dat Korn muß ze Mahl jemahle wäde, sös jid et ken Bruut. Ich nickte, ohne zu begreifen.
    An meinem ersten Tag als Fahrschülerin stand der Großvater zum letzten Mal auf. Schwer auf seinen Stock gestützt, sah er mir vom Gartentor aus nach, bis ich hinterm Wartehäuschen verschwand. In seinem Blick ein Schmerz, der nicht nur von der Krankheit herrührte, aber auch Zuversicht und Ermutigung.
    Wer Boochsteen läse kann, hatte er mir zugezwinkert, dä kann alles verstonn.
    Drei Wochen nach dem Weißen Sonntag räumte man das Wohnzimmer wieder leer. Für Großvaters Sarg. Es war heiß in diesen letzten Maitagen. Morgens und abends holten der Bruder und ich mit dem Bollerwagen Eisblöcke aus der Brauerei, die unter den Leichnam geschoben wurden. Wie oft waren wir mit diesem Wagen über die Felder gezogen, hatten Kartoffeln aufgelesen und Ähren, die die Großmutter in der Kaffeemühle mahlte, später unters Hühnerfutter mischte. Alles transportierten wir, was andere übrigließen, Steine von Baustellen oder Sand, vor allem aber alte Bretter, Bohlen und Kisten, Holz für den Ofen.
    Immer wieder strich ich am Morgen der Beerdigung um den Großvater herum. Das letzte Eis tropfte in die darunterstehenden Zinkbütten, ein Geräusch wie aus einem undichten Wasser-hahn. Die weißen Lilien in den hohen Vasen, die der Bestatter mitgeliefert und rechts und links zu Häupten des Großvaters aufgestellt hatte, welkten schon, und ein bißchen Blütenstaub war dem Großvater ins Gesicht gefallen. Ich zog mein Taschentuch aus dem Rockbund, spuckte kräftig hinein und wischte, so, wie früher die Mutter uns Kindern vorm Sonntagsspaziergang, dem Großvater über Stirn und Nase, um die Augen. Eines öffnete sich, und der Großvater blinzelte, kniepte mir noch einmal zu, wie er es im Leben so oft getan hatte, im stummen, machtlosen Einverständnis mit mir. Seine Hände lagen wie zum Gebet ineinander verschlungen auf seiner Brust. Um den zweiten Finger seiner Rechten lief eine tiefe, blaurote Kerbe. Die Großmutter hatte ihm den Trauring abgezogen. Sein zahnloser, lippenloser Mund bog sich fast heiter nach oben.
    Der Herr Kringli hatte ausgelitten. Die Trauergemeinde war würdig und festlich gestimmt. Auf der obersten Treppenstufe stand die Großmutter in einem schwarzen Jäckchenkleid, einem Geschenk der alten Frau Bürgermeister, von dem sie am Abend zuvor das weiße, plissierte Bäffchen abgetrennt hatte. Um das linke Handgelenk hatte sie ihren Rosenkranz geschlungen, mitunter griff ihre Rechte nach einer Perle und murmelte ein »Gegrüßet seist du, Maria<.
    Der Leichenwagen war schon vorgefahren. Gezogen von Karrenbroichs Schimmeln und nicht von den fetten Brauereipferden. Sie stänken nach Bier, hatten Leidtragende immer öfter beanstandet. Die Pferde trugen schwarze Decken und scharrten im Straßenstaub. Zwei Meßdiener vorneweg, stürmte der Pastor herbei. Die Trauergäste, die in einer dicken Traube ums Gartentor hingen, machten ehrfürchtig Platz. Dem Pastor folgten Böckers Willi, der den Sarg geliefert hatte, und sechs kräftige Burschen aus dem Kolpingverein, die Leichenträger.
    Mit dem gleichen großen Schwung, mit dem er Kühe und Schweine, Fahrräder, Autos und die Christengemeinde besprengte, holte der Pastor für den toten Großvater aus, tauchte sein Aspergill ins Silbereimerchen, das ein Meßdiener hielt, bis dem Großvater das Weihwasser wie Schweißperlen auf der Stirn stand. Die Mutter schluchzte, die Tante räusperte sich, die Großmutter begann mit lauter Stimme ein Vater unser<, alle fielen ein.
    Amen, murmelte Böckers Willi und winkte zwei Helfern. Die holten den Sargdeckel hinterm Ofen hervor und legten ihn auf den Großvater. Jetzt war er wirklich weg. Die Hand des Bruders stahl sich in meine. Mit langen, goldblitzenden Stiften nagelte Böckers Willi Ober- und Unterteil zusammen. Ich krampfte meine Hand um die des Bruders, als schlüge jeder Schlag den Großvater ein Stück weiter in die Flucht

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