Das verborgene Wort
von der Erde in den Himmel.
Mit dem Gehämmer hatte sich draußen ein Gemurmel erhoben. Ein »Gegrüßet seist du, Maria< nach dem anderen betete man, bis Böckers Willi alle Nägel untergebracht hatte. Seit der Großvater hier lag, war kein Fenster, kein Fensterladen geöffnet worden. Die Luft, dick vom Geruch der Lilien, der Wacholder- und Buchsbaumtöpfe, der billigen Kerzen, war durch die vielen Menschen noch stickiger geworden. Selbst der Großmutter verschlug es allmählich den Atem zum Beten. In Jottes Namen, sagte sie. Der Pastor wandte sich zur Tür, die Meßdiener voran.
Zujleisch, gab Böckers Willi seinen Kolpingbrüdern das Kommando. Die gingen in die Knie, stemmten den Sarg von den Holzböcken auf die Schultern, kamen hoch. Die angeschmolzenen Eisstangen platschten in die Bütten, daß sie überschwappten. Die Mutter rannte raus und kam mit einem Putzlappen wieder. Maria, tadelte die Schwester, jitz doch nit.
Hie kumme mer nit erus. Die ersten beiden Kolpingbrüder standen in der Wohnzimmertür und versuchten durch den Flur zur Haustür zu kommen. Der Flur war zu eng.
Josäff, schrie die Mutter, den Putzlappen weit von dem guten Trauerstaat streckend, Josäff, dunn jet. Der Vater schob die schmale Konsole aus dem Flur in die Küche. Die ersten beiden Kolpingbrüder traten einen Schritt in den Flur, die beiden zweiten erschienen im Türrahmen. Die beiden ersten schwenkten auf die Haustür zu. Die beiden zweiten wollten folgen. Es krachte.
Der Sarg aus Eiche konnte etwas aushalten, aber an der Türfüllung splitterte der Lack bis aufs Holz. Die Frauen kreischten. Ein Meßdiener erschien, der Pastor frage, wann's weiterginge. Die Großmutter wollte sich an den Sargträgern vorbei aus der Tür zwängen. Vergeblich.
Finster op! kommandierte Böckers Willi. Hi kumme mer nitrus. Der Vater, nicht im Leichenzimmer gefangen, machte draußen die Fensterladen auf. Drinnen flogen die Fensterflügel auseinander. Die Großmutter, außer sich vor Scham und Wut, streckte den Kopf heraus und schrie: Herr Pastur, dä Ahl"' muß dursch et Finster. Jelobt sei Jesus Christus.
Inzwischen hatten die beiden letzten Kolpingbrüder, die nun die ersten waren, den Sarg auf dem Fensterbrett abgestellt. Das Gemurmel draußen war verstummt. Die Männer riefen den Trägern mehr oder weniger ernstgemeinte Ratschläge zu. Ein Pferd wieherte, stampfte, eine Staubwolke wirbelte hoch. Die beiden ersten und die mittleren Sargträger kamen nach draußen und stellten sich unter das Fenster. Die beiden drinnen schoben den Sarg - zujleisch, zujleisch - langsam ins Freie. Es polterte wie in einem schlecht gepackten Paket, als der Großvater, Kopf voran, aus dem Fenster geschoben wurde, vorsichtig zuerst, dann aber ebenso entschlossen wie Böckers Gesellen die Sarghälften schon bei der Anlieferung durch das Fenster bugsiert hatten. Doch damit die vier vor dem Haus den Sarg auf ihre Schultern hätten laden können, war der Winkel zu steil. Also ließ man den Sarg, senkrecht an der Hauswand hinunterrutschen. Großvater im Kopfstand. Krachend schlug innen etwas gegen den Deckel. Sein Knie? Die Stirn? Die Menge, die sich um Schaulustige von der Straßenbahnhaltestelle vermehrt hatte, reckte die Hälse und rangelte um die beste Sicht. Kreuzkamp fächelte sich Kühlung mit der Stola. Dunkle Schweißränder durchzogen seinen hohen weißen Kragen. Uber allem das Kommando von Böckers Willi, der nicht einen Augenblick die Kontrolle verlor: Zu-jleisch, zu-jleisch. Wie eine Raupe wanden sich die sechs Kolpingbrüder unter den jetzt im spitzen Winkel an der Hauswand lehnenden Sarg und ruckten ihn wieder auf ihre Schultern. Jottverdam- misch, schrie der Vater, als die beiden hinteren in seine Rosen traten, mitten in eine Gloria Dei. Der Pastor, am Ende seiner Geduld, fand nicht einmal mehr Kraft für einen strafenden Blick. Die Menge machte den Kolpingbrüdern Platz und starrte auf den Sarg, der jetzt in die Gereonskirche rumpelte, zur Totenmesse und dann zum Kirchhof, zur ewigen Ruh.
* Alte
Der Bruder und ich ließen an diesem Tag kaum einmal die Hände los. Im Blumenstrauß, den ich ins Grab warf, hatte ich meinen ersten Buchstein versteckt. Sein Poltern hätte Tote wecken können.
Für die Trauergemeinde gab es Kaffee und Streuselkuchen im Cafe Haase. Bezahlt von der Zusatzsterbeversicherung. Bei einer Beerdigung durfte man sich nicht lumpen lassen.
Die Männer debattierten noch eine Weile, ob man den Sarg nicht doch auf andere Art aus dem Haus
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