Das verbotene Eden 01 - David & Juna
er seinen Atem riechen konnte. Er roch nach Krankheit.
»Ich habe gehört, dass der Inquisitor eine Geheimwaffe bauen lässt. Eine Teufelsmaschine, mit der er das Herz ihrer Kultur – die Stadt Glânmor – angreifen und vernichten will. Wenn das geschieht, dann haben wir Krieg. Einen noch viel schlimmeren Krieg als den vor fünfundsechzig Jahren. Vor diesem Hintergrund ist es sehr wahrscheinlich, dass wir bald überhaupt keine Babys mehr bekommen werden.« Er atmete schwer. Die Anstrengung trieb ihm den Schweiß auf die Stirn.
»Aber was geschieht dann mit den kleinen Jungen? Die Frauen werden sie ja wohl kaum selbst aufziehen?«
»Natürlich nicht. Doch es sind keine Christenmenschen, vergiss das nicht.«
David versuchte zu verstehen, was Stephan ihm sagen wollte. Der Gedanke, der plötzlich in seinem Kopf entstand, war so ungeheuerlich, dass er ihn kaum auszusprechen wagte.
»Ihr meint, sie würden ihre Kinder eher töten, als sie uns zu überlassen?«
Ein kurzes Nicken war die Antwort.
»Aber … aber das ist barbarisch.«
»Es sind barbarische Zeiten, mein junger Freund. Barbarische Zeiten mit barbarischen Ritualen. Lass uns beten, dass es nicht so weit kommt.« Er versank in Schweigen.
David saß zusammengesunken auf seinem Stuhl. Er wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Auf einmal schien der Tod des kleinen Matthäus eine andere Bedeutung zu bekommen. Eine höchst unheilvolle Bedeutung.
»Amon hat mich gefragt, ob ich der Heiligen Lanze beitreten möchte«, murmelte er gedankenverloren. Er sprach die Worte aus, ohne recht zu wissen, warum. Die Reaktion war verblüffend. Meister Stephan richtete sich kerzengerade auf und schaute ihn über den Rand seiner Brille hinweg an.
»Was sagst du da?«
»Dass ich ein Angebot bekommen habe, der Heiligen Lanze beizutreten. Amon meinte, ich wäre ein geeigneter Kandidat. Und er hat gerade einen guten Draht zum Inquisitor.«
»Allerdings.« Meister Stephan schien sichtlich erschüttert. »Würdest … würdest du das denn wollen?«
David hätte gerne gewusst, warum dieses Thema seinen Mentor so auf die Palme brachte. Was es auch war, er musste zusehen, dass er die Kuh schnell wieder vom Eis brachte. Der Bibliothekar brauchte jetzt vor allem eines: Ruhe. Wenn der Meister Apotheker mitbekam, dass er seinen Patienten aufregte, konnte es drakonische Strafen hageln. Außerdem mochte er Stephan. Er wollte nicht, dass es ihm schlechtging.
»Nein, natürlich nicht«, wiegelte er ab. »Dieser Gedanke ist vollkommen abwegig. Ich könnte mir niemals vorstellen, bei der Heiligen Lanze mitzumachen.«
Stephan sah ihn durchdringend an. »Wirklich nicht?«
»Wirklich nicht. Schon die Vorstellung dass ich auf Raubzug gehen soll, ist absurd. Ich liebe Bücher. Ich möchte etwas über unsere Geschichte erfahren, auch wenn ich mich dabei manchmal wie ein Tölpel anstelle.« Er spielte damit auf Meister Stephans Ermahnung an, er möge pfleglicher mit seinen Schreibwerkzeugen umgehen. Stephan wurde nie müde, zu erwähnen, dass aus David nie ein guter Kopist werden würde, wenn er nicht endlich dazu überging, sein Handwerkszeug zu reinigen und ordentlich aufzubewahren. Auch was die Archivierung betraf, gab es noch einige Defizite. Wie oft hatte David einzelne Hefte den falschen Jahrgängen zugeordnet und damit stundenlange Suchaktionen heraufbeschworen? Doch all das schien plötzlich zu verblassen angesichts der Möglichkeit, er könne der Heiligen Lanze beitreten. Meister Stephan war immer noch beunruhigt. »Was genau hast du zu ihm gesagt?«, hakte er nach.
»Ich habe gesagt, dass ich es mir durch den Kopf gehen lassen werde, was natürlich Blödsinn war. Ich habe ihn angeflunkert, weil ich ihn nicht enttäuschen wollte.«
Meister Stephan schenkte ihm einen aufmerksamen Blick. »Ihr beide steht euch recht nahe, oder?«
»Wir sind befreundet, stimmt.« David spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. Hoffentlich merkte es der Bibliothekar nicht bei dieser schlechten Beleuchtung. Doch Stephan schien andere Sorgen zu haben. »Hoffentlich ist es noch nicht zu spät. Wenn Amon gegenüber dem Inquisitor deinen Namen erwähnt, könnte das verheerende Konsequenzen haben.«
David verstand nicht, wovon sein Meister da redete. Der Inquisitor konnte ihn nicht leiden, das war kein Geheimnis. Er schikanierte ihn, wie es ihm beliebte. Warum sollte er also zulassen, dass jemand wie David den Namen seiner Lieblingstruppe beschmutzte. Stephan schien diese Möglichkeit aber
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