Das verbotene Eden 02 - Logan & Gwen
nur deswegen freilassen, weil sie so nett miteinander geplaudert hatten. Vermutlich hatte er sogar recht. Ihre Begleiterinnen waren tot, und es wäre reiner Selbstmord, in die Kanalisation zurückzukehren. Sie war jetzt auf sich allein gestellt und musste zusehen, wie sie das Beste aus ihrer Lage machte. Der eigentliche Grund aber, warum sie bei ihm blieb, war die Mappe. Sie schien Antworten auf genau die Fragen zu enthalten, die Gwen überhaupt zu dieser Reise veranlasst hatten. Und das war mehr als ein Zufall.
Das war ein Zeichen der Göttinnen.
30
G wen lag auf der Erde, ihren Kopf auf ein Kleiderbündel gebettet, eine wärmende Decke um ihren Körper geschlungen. Ein kühler Wind wehte von Westen und vertrieb die letzten Wolkenschleier. Sie hatte so gut geschlafen wie schon lange nicht mehr. In dieser Nacht hatte sie erneut vom Meer geträumt, von der Küste – und von Juna. Ein Mann hatte neben ihr gestanden. Zuerst noch unscheinbar, doch beim näheren Hinsehen entpuppte er sich als Mönch mit Kutte und Wanderstab. Die beiden standen am Ufer des grenzenlosen Meeres und wandten ihr den Rücken zu. Als sie sich umdrehten, sah Gwen, dass Juna einen vorgewölbten Bauch hatte. Sie erwartete ein Kind.
Dann war Gwen aufgewacht.
Der Morgen warf flache Strahlen über das Land. Halla stand etwas abseits und knabberte an ein paar Blättern. Von der Feuerstelle stieg Rauch auf, der seinen belebenden Geruch in der kühlen Luft verteilte. Logan saß am Feuer und hielt etwas in die Flammen, das wie eine alte, rostige Bratpfanne aussah. »Ich habe etwas zu essen gemacht. Vielleicht hast du ja heute Hunger.« Es zischte und brutzelte, und ein betörender Geruch stieg auf. »Im Baum war ein Nest, ich habe Eier gefunden. Wenn du Lust hast, kannst du dich zu mir setzen.«
Diesmal ließ Gwen sich nicht zweimal bitten. Mit gierigen Blicken rutschte sie heran, ließ sich etwas von dem Brot abbrechen und fing an, Eier und Speck in sich hineinzuschaufeln.
»Langsam, langsam«, lachte Logan. »Es ist genug da. Du wirst dir noch den Magen verderben, wenn du so schnell isst.«
Gwen schluckte alles runter und atmete ein paarmal tief ein und aus. »Recht hast du«, sagte sie. »Es ist nur so, dass ich das Gefühl habe, seit Tagen nichts gegessen zu haben.«
»Umso wichtiger, dass du dir Zeit lässt. Hier, der Rest gehört dir, ich habe schon genug.« Er schob ihr die Pfanne rüber.
Dankbar aß sie weiter.
»Diese Mappe«, sagte sie irgendwann mit vollem Mund. »Kannst du lesen, was in den Briefen steht?«
»Teilweise. Ich muss gestehen, ich habe nie richtig Lesen und Schreiben gelernt. Das wenige, das ich weiß, hat mir mein Vater beigebracht, und Schulen gibt es bei uns nicht. Wie ist das bei euch?«
Sie schüttelte den Kopf. »Wir haben zwar Schulen, aber Lesen und Schreiben lernen wir trotzdem nicht. Der Unterricht umfasst Hausarbeiten, Landwirtschaft, Religion und Heilkunde. Praktische Anwendungen. Bücher sind bei uns nur etwas für die herrschende Kaste.« Sie aß noch einen Bissen Brot. »Meinst du, du könntest mir das ein oder andere daraus vorlesen?«
Er zuckte die Schultern. »Ich kann’s versuchen, aber ich glaube nicht, dass meine Fähigkeiten dafür ausreichen. Warum interessiert dich das so?«
Sie schluckte den letzten Bissen runter. »Nur so. Vielleicht, weil mich das Thema Dunkle Jahre gerade sehr beschäftigt. Wir können ja einen Handel abschließen.« Sie wischte mit dem Ärmel über ihren Mund und lehnte sich dann zurück. »Du liest mir daraus vor, und ich werde dafür nicht zu fliehen versuchen. Was sagst du dazu?«
Logan ließ sich das Angebot gründlich durch den Kopf gehen und nickte dann. »Einverstanden«, sagte er. »Hand drauf.«
Halla trabte müde über die staubtrockene Erde. Der Regen des vorangegangenen Tages war wie von Löschpapier aufgesaugt worden. Nicht das kleinste Rinnsal war übrig geblieben, nicht einmal eine winzige Pfütze. Ein totes Land, vernichtet von dem Feuer, das beide Geschlechter vor so langer Zeit entfacht hatten und das immer noch weiterbrannte.
Gwens Gedanken kreisten um die Frage, was das Land wohl vernichtet haben mochte. Sie kannte die Geschichten, gewiss. Sie wusste von dem Krieg und dass dabei fürchterliche Waffen zum Einsatz gekommen waren, die ihre Phantasie weit überschritten. Waffen, die künstliche Sonnen entfachen und alles im näheren Umkreis zu Staub verwandeln konnten. Sie wusste auch um die sogenannten chemischen Waffen, die einem die Lunge
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