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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manu Joseph
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Riesenunterschied.»
    «Nur ein Jahr.»
    «Ein Riesenunterschied.»
    Sie sagt, sie hätten genug gequatscht und müssten jetzt mit Mathe anfangen. «Winkelfunktionen», sagt sie.
    «In jener Nacht», sagt Thoma, dem plötzlich etwas einfällt, «haben mein Vater und ich dich zu deiner Wohnungstür gehen sehen. Wo bist du davor gewesen?»
    «Nirgends», sagt sie. «Mir war, als hätte ich ein Geräusch vor unserer Tür gehört. Da bin ich rausgegangen, die Treppe hinauf, weil ich wissen wollte, ob das Geräusch von der Dachterrasse kam.»
    «Du warst ordentlich angezogen.»
    «Was soll das heißen, Thoma?»
    «Du hattest Kleider an, die du normalerweise trägst, wenn du nicht zu Hause bist.»
    «Ich war nicht in der Wohnung, oder?»
    Thoma flüstert: «Was meinst du, war das für ein Geräusch?»
    «Ich weiß es nicht.»
    «Du bist sehr tapfer, Mythili.»
    Sie zeigt ihm ihre Handinnenfläche und sagt, zwischen ihren Fingern seien Winkel.
    Thoma fragt sich, ob er in sie verliebt ist. Seltsamerweise hat er noch nie darüber nachgedacht. Und die Frage macht ihm Angst, weil in Madras das Schicksal der Liebe säuberlich in vier Arten von Selbstmord eingeteilt ist. Liebespaare, die wissen, dass ihre Eltern nie in eine Heirat einwilligen werden, nehmen sich ein billiges Hotelzimmer, ziehen Hochzeitskleider an und schlucken Rattengift. Wenn sie jedoch zusammen durchbrennen, nehmen ihre Eltern Rattengift. Wenn nur die Eltern des Mädchens gegen die Heirat sind, wird sich das Mädchen wahrscheinlich in Brand stecken. Männer, die von den Mädchen abgewiesen werden, hängen sich fast immer am Deckenventilator auf. Es kommt selten vor, dass sich ein Mann wegen eines Mädchens anzündet.
    «Wenn es zwischen zwei Geraden keine Winkel gibt, dann ist der Grad des Winkels entweder null oder 180 Grad. Thoma, du Dummkopf, hörst du mir überhaupt zu?»
    «Mythili, glaubst du, Unni ist gestorben, weil er Liebeskummer hatte?»
    Sie ballt die Faust und klopft ihm mit den Knöcheln an den Kopf. Woher zum Teufel wissen alle Frauen in Madras, wie das geht? Einen Moment lang fühlt er sich gedemütigt, doch dann streicht ihm Mythili über den Kopf.
    Er ist froh, dass er Shampoo benutzt hat. «Du musst zuhören, Thoma», sagt sie.
    Doch dann reden sie über dies und das. Er hat herausgefunden, dass er sie am besten zum Sprechen bringen kann, wenn er über Unni redet.
    «Mythili, kennst du die Namen aller Frauen im Frauenbasketball-Nationalteam?»
    «Natürlich nicht. Wer weiß so was schon?»
    «Das hat Unni auch gesagt. Er hat gesagt, niemand kenne das Frauenbasketballteam. Er hat gesagt, wenn man bei jemandem Eindruck schinden möchte, bräuchte man sich nur zehn Mädchennamen auszudenken und zu behaupten, es handele sich um das indische Frauenbasketballteam. Keiner sei in der Lage, das nachzuprüfen.»
    Sie streicht sich eine dicke Haarsträhne aus dem Gesicht und steckt sie hinter ihr Ohr. «Unni hatte immer etwas im Sinn», sagt sie. «Weißt du noch, wie er meine Gedanken gelesen hat? Was meinst du, wie er das gemacht hat, Thoma?»
    Ja, er erinnert sich daran. Unni bat sie, eine Karte von einem Stapel zu nehmen und sie wieder zurückzulegen. Dann sah er ihr tief in die Augen, während sie kicherte oder übertrieben mit den Lidern klimperte. Und er erriet immer, welche Karte sie gezogen hatte. Es stimmte jedes Mal, und Mythili war jedes Mal sprachlos. Sie bat ihn, aus dem Zimmer zu gehen, bevor sie die Karte zog. Dann versteckte sie die Karte, kaute auf ihr herum oder riss sie in kleine Stücke, doch Unni kam einfach ins Zimmer zurück und riet immer richtig. Sie ging sogar auf die Dachterrasse und zog die Karte dort, doch Unni erriet sie auch dann. An manchen Tagen gab er vor, ihre Gedanken nicht lesen zu können, weil zu viel in ihrem Kopf vorging. Doch wenn sie am nächsten Morgen ihre Schulmappe oder ein Notizbuch öffnete, fand sie immer die Karte, die sie gezogen hatte. Sie stieß jedesMal einen gellenden Schrei aus, den Thoma und Unni bei sich zu Hause hören konnten.
    «Thoma, meinst du, er konnte wirklich Gedanken lesen?»
    Thoma hält es kaum aus, sagt aber nichts.
    «Weißt du, was er zu mir gesagt hat?», sagt sie. «Er hat gesagt, dass einst eine geheime Gattung von Menschen auf Erden gelebt hätte, die übernatürliche Kräfte besaß. Sie erfanden billige Zaubertricks, die sie überall verbreiteten, damit die Leute glaubten, alles Übernatürliche sei nur ein Zaubertrick. Das hat mir Unni gesagt. Ich entsinne mich noch daran,

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