Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manu Joseph
Vom Netzwerk:
nach Hause zurück, spielte ein Weilchen Kricket, ging die Treppe hinauf und beschloss zwanzig Minuten später, sich das Leben zu nehmen?
    Wer der Empfänger des Comics war, bleibt ein Rätsel. Und was bedeutet das Schlusspanel – Mariamma in wildem Aufruhr? Der kurze Begleitbrief, der keinerlei Zuneigung erkennen lässt, deutet daraufhin, dass der Empfänger männlich ist, aber ganz sicher ist Ousep sich nicht. Vielleicht war er für eine junge Dame bestimmt, die Unni erklärt hatte, ihre dicke, unglückliche Mutter lese all ihre Post.
    Seit dem Tag, als Unnis Brief zurückkam, stellt Ousep wieder denselben Jungen nach, die er drei Jahre zuvor befragt hat, sowie einigen, die er erst später kennenlernte. Er sagt ihnen nichts von dem Brief und gibt nur ein paar vereinzelte Hinweise. Bis er ganz genau versteht, was sich in Unnis Leben abspielte, will er mit dem, was er weiß, vorsichtig umgehen.
    Die Jungen, die Ousep vor drei Jahren getroffen hat, sind jetzt fast Männer, sie sind um die zwanzig. So alt wäre auch Unni heute, wenn er noch am Leben wäre. Zwanzig. Ein gut aussehender junger Mann, der die Welt durch seine schmal geschnittenen, intelligenten Augen leicht belustigt mustern würde, ein junger Künstler mit der undurchsichtigen Ernsthaftigkeit, die den meisten Cartoonisten eigen ist. Hätte sich Unni Chacko erlaubt, weiterzuleben, wäre ein beeindruckender Mann aus ihm geworden.
    Ousep denkt an den nächsten Tag, an die Fremden, die er befragen muss. Mit Leuten zu reden, findet er anstrengend. Als Journalist ist das seit jeher seine geheime Schwachstelle. Er fühlt sich nicht wohl, besonders ohne guten Rum als Stärkung, wenn er vor jemandem steht und gesehen und beurteilt wird. Wie schön wäre es, wenn er im Beichtstuhl der katholischenPriester sitzen könnte, hinter dem geistlichen Moskitonetz, und dort Unnis alten Freunden zuhören könnte – diesen beängstigenden neuen Männern, die gerade noch Jungen waren und im nächsten Moment erwachsen sind. Manche haben sogar dichte Schnurrbärte, ihre Stimmen klingen verändert, und etwas an ihrer Männlichkeit bewirkt, dass er sich nach Unni sehnt. Unni, der sich nie rasieren wird, der nie mit der Besessenheit eines Mannes seine Brieftasche in die Gesäßtasche seiner Jeans stopfen wird. Wie kommt es eigentlich, dass sogar Ousep Chacko glaubt, das Leben sei ein Lotteriespiel?
    Ousep geht aus dem Haus und sieht Mythili Balasubramanium die Treppe hinuntergehen. Ob sie weiß, warum Unni starb? Er hat sie oft danach gefragt, jedoch ohne große Überzeugung. Wenn man sie jetzt sieht, ein Teenager mit den typischen Vorbehalten, der sich besonnen bewegt und einen Busen hat, dann vergisst man leicht, dass sie noch ein Kind war, als Unni starb. Dieses Kind existiert noch als eines von Unnis düsteren Porträts. Auf dem Bild liegt sie in einem Sarg, hat die großen, interessierten Augen geschlossen, und ihre Hände ruhen auf ihrer Brust und umklammern eine nicht identifizierbare Blume.
    Ihre ganze Kindheit hindurch war sie fast täglich stundenlang mit den beiden Jungen zusammen, bis zu Unnis Tod. Für Mariamma war sie die Tochter, die sie nie hatte, sie war Unnis Assistentin und Thomas Oberschwester. Meistens tat sie so, als hätte sie Angst vor Ousep, und wich seinem Blick aus. Manchmal stand sie morgens vor seinem Zimmer, spähte hinein und rannte weg, wenn er den Kopf zu ihr drehte. Doch wenn es ihm gelang, sie anzulächeln, lächelte sie immer zurück. Im Gegensatz zu den anderen hasste sie ihn nicht. Doch das ist lange her, und damals war sie ein kleines Mädchen, das wahrscheinlich dachte, alle Väter seien nett.
    Das Mädchen, an das er denken muss, ist ein wenig jünger als dasjenige im Sarg. Als Unni es für sein
Totenalbum
zeichnete, war es zwölf oder dreizehn. In dem schwarzen, rautenförmigen Sarg trägt es ein blaues, knielanges Kleid, hat zwei fliegende Zöpfe mit roten Haarbändern und silberne Fußkettchen an den Handgelenken, die sie damals wirklich so trug, weil ihre Mutter fand, sie sei noch zu jung für richtige Fußkettchen. Selbst heute darf sie sie immer noch nicht tragen. Wie alle Mütter von Töchtern hat Mythilis Mutter den pornografischen Blick eines Mannes: Überall sieht sie sexuelle Omen – in Fußkettchen und Röcken und wallendem Haar und in baumelnden Ohrringen, die im Wind wippen. Durchaus korrekt stellen sich Mütter vor, die Sexualität ihrer Töchter sei an unschuldigen Orten verborgen, genau wie die Seele eines Vampirs in

Weitere Kostenlose Bücher