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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manu Joseph
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gut, aber sie lässt Wörter aus; sie sagt, auf Malayalam gebe es diese Wörter nicht. Um sie zu beeindrucken, versucht er, Synonyme zu finden, doch sie hat recht, die Wörter gibt es nicht, und so bleibt manche klaffende Lücke in ihrer Übertragung von Márquez’ Geschichte.
    Jeden Sonntag zwingt sie Ousep, mit ihr in die Kirche zu gehen. In ihren besten Kleidern laufen sie die schmalen, feuchten, gewundenen Wege entlang, reden und lachen, immer in dem Bewusstsein, dass die Nachbarn sie durch die Fenster beobachten – dass sie die Augen zusammenkneifen, die Hälse recken, sich die Bäuche fächeln und miteinander tuscheln. Ousep findet es unanständig, dass er vor aller Augen glücklich ist; er kommt sich vor wie jemand, der während einer Hungersnot herumgeht und einen großen gebratenen Fisch verspeist. Doch so waren sie damals, Ousep und Mariamma, auf unauffällige Weise jung und glücklich. Wer kann sich vorstellen, dass sie einmal wie alle anderen waren?
    Wenn sie sich lieben, kennt sie keine Scham, und sie lieben sich oft. Dann ist alles ringsum von den unheilvollen Lauten einer Frau erfüllt, die klingt, als klagte sie über zertrümmerte Möbel. Dann und wann hält sie inne und erklärt ihm genau, wie er fortfahren soll. Doch wenn sie dann erschöpft daliegen, wird sie ruhig und melancholisch, sie bekommt sogar schlechte Laune und steht als Erste auf. So sind die Frauen nun mal, stellt sich Ousep in seiner Unschuld vor. Er stellt sich vor, sie so aufgewühlt zu haben, dass sie für sich sein muss, um sich wieder zu sammeln. Er fängt an, durchs Leben zu stolzieren und sich einzubilden, er sei ein außergewöhnlich guter Liebhaber, wie er schon immer vermutet hatte. Warum sonst sollte ein Mädchenin seiner Umarmung so vollkommen kollabieren? Wenn er Neuvermählte mit ihren Ehemännern spazieren gehen sieht, ist er erstaunt, dass sie so glücklich sein können – genauso glücklich wie Mariamma Chacko. Dass andere Männer, einfache Männer, die keine Schriftsteller sind, ihre Frauen ebenfalls zum Lachen und Leuchten bringen können, kommt ihm merkwürdig vor.
    Jeden Tag kommen Verwandte und Freunde vorbei – ihr Haus ist voller Gelächter und lautem Glück. Manchmal parken abends weiße Ambassadors mit roten Blinklichtern auf dem Dach vor dem Haus. Der stellvertretende Bezirksverwaltungsbeamte fragt Mariamma nur halb im Scherz: «Wenn Sie sich vor Augen führen, wie hart die Welt für eine Frau ist, möchten Sie dann in Ihrem nächsten Leben wieder eine Frau sein?» Sie legt den Kopf leicht schräg und sagt: «Was wäre denn die Alternative?» Alle im Zimmer prusten vor Lachen.
    Wir sind zu glücklich, sagt sie zu Ousep. In ihrer Stimme klingt Angst mit. Sie ist sicher, dass manche Besucher, vor allem seine Verwandten, verhexte Dinge dalassen, um Verderben über ihr freudvolles Heim zu bringen. Und sie hat recht, sie findet schwarze Münzen und Hühnerknochen in den Winkeln des eisernen Eingangstors. Wörter stehen darauf, und Fäden sind darangebunden. Weil sie nicht abergläubisch ist, lacht sie darüber. Sie sammelt die Dinge ein und legt sie in eine Schachtel. Einmal findet sie auf dem Gelände ums Haus einen Kupferteller mit einer Inschrift. Ein andermal entdeckt sie in der Erde eine Phiole mit dunklem Öl. Sie sammelt diese Dinge ein und bewahrt sie auf, als seien es kostbare Reliquien der menschlichen Natur. Was sie ja gewissermaßen auch sind.
    Ousep geht jeden Tag um die Mittagszeit zur Arbeit. Dann steht Mariamma am Tor und blickt ihm nach, während er im Schatten unsterblicher Bäume den Weg aus roter Erde entlanggeht. Er dreht sich immer ein paarmal nach ihr um, und dannlachen sie beide über ihre junge Liebe. Sie sind genau diejenigen, die zwischen Sonnenblumenfeldern mit ausgebreiteten Armen aufeinander zu rennen würden, auch wenn sie so etwas nie taten.
    Ousep trinkt nicht mehr. Bei Männern aus Kerala ist es üblich, das Trinken nach der Hochzeit aufzugeben. Doch wie alle anderen beginnt er allmählich wieder damit, in kleinen harmlosen Schlucken. Mariamma stört das nicht, weil sie ihn erst richtig kennenlernen muss. Sie hat ihn noch nicht mit einknickenden Knien erlebt oder wie blöde taumelnd oder auf den Armen anderer Männer. Doch auch an ihr ist vieles, was Ousep noch nicht kennt. Auch sie hat etwas aufgegeben, was man eigentlich nicht aufgeben kann.
    Im Morgengrauen hört er zum ersten Mal die Stimme. Das ungewohnte, tiefe Geflüster einer Frau weckt ihn aus dem Schlaf, wird zu

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