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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manu Joseph
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als Hohn zu empfinden. Sie wirkt verboten und unerreichbar und sogar wichtig. Als die Tür hinter ihr zugeht, hat das entschlossene Klicken des Türknaufs etwas zutiefst Sinnliches. Zum ersten Mal seit Jahren ist er mit einer jungen Frau allein in einem geschlossenen Raum und hat das Gefühl, etwas Unangebrachtes tun zu müssen. Der Blick der Krankenschwester fällt auf verschiedene Gegenstände im Zimmer, einschließlich seiner Person. Sie macht sich schnell ein paar Notizen und verlässt das Zimmer.
    Er weiß nicht, ob es Tag oder Nacht ist oder wie lange er schon wie ein Transvestit in diesem lächerlichen, grünen Krankenhauskittel daliegt, beschließt aber, wach zu bleiben und auf Mariamma zu warten. Es kommt ihm so vor, als sei sie irgendwo in der Nähe, sie würde ihn nie allein in einem Krankenhauszimmer zurücklassen. Er hat viel mit ihr zu besprechen – falls sie gewillt ist, auf seine Fragen zu antworten.
    Er setzt sich auf und lehnt sich in das gewaltige Kissen. Er versucht, sich zu erinnern, wann genau er das Gespenst gesehen hat. Vor ein paar Stunden oder Tagen? Er weiß nicht mehr, was ihn aufweckte, doch kaum war er wach, sah er als Erstes Sai Sankaran in der Tür stehen, sanftmütig und harmlos, mit feuchtem Haar und bewegungslos wie immer am Morgen. Selbst als plötzlich auftauchendes Gespenst konnte Sai niemanden erschrecken. Als er schließlich hereinkam, roch es im ganzen Zimmer nach Lifebuoy-Seife.
    «Bist du hier, um mich zu töten, Sai?»
    «Nein», sagte Sai in einem Ton, der Ouseps Scherz in eine vernünftige Frage verwandelte.
    «Sai.»
    «Ja.»
    «Kannst du mir beim Pinkeln helfen?»
    Sai sah entsetzt aus. Deshalb log Ousep und sagte: «Ich hab nur Spaß gemacht.»
    Der Junge holte einen Hocker aus der Ecke, setzte sich neben Ouseps Bett und sagte: «Ich bin nicht hierhergekommen, weil Sie mich erpresst haben.»
    «Das stimmt nicht, Sai. Das bildest du dir ein.»
    «Was haben Sie mir dann an der Bushaltestelle erzählt? Sie haben gesagt, die Bullen würden zu mir nach Hause kommen und mich verhören. Sie haben gesagt, ich müsse jetzt in meinem Visumsantrag für die USA angeben, dass eine Strafanzeige gegen mich vorliegt.»
    «Ich habe nur versucht, dich zu beschützen. Ich habe nur versucht, dich darüber zu informieren, was alles passieren kann, damit du auf der Hut bist.»
    «Ich wollte Ihnen sagen, dass ich nicht hierhergekommen bin, weil Sie mich erpresst haben.»
    «Das glaube ich dir, Sai.»
    «Ich weiß, dass das, was ich mit der Frau auf der Straße gemacht habe, falsch war. Ich weiß nicht, was in mich gefahren war. Ich schäme mich. Und zwar, weil ich ein redlicher Mensch bin. Ich bin ein sittsamer Mensch und glaube, dass jeder Mann nur eine einzige Frau in seinem Leben berühren sollte. Ich glaube an die Moral.»
    Ousep kam der Gedanke, dass die Moral wahrscheinlich eine Erfindung unattraktiver Männer war. Wer sollte sonst etwas von ihr haben?
    «Warum bist du gekommen, Sai?»
    «Ich hab mir gedacht, was ist, wenn Sie sterben, ohne über den wahren Unni Bescheid zu wissen? Da hab ich gedacht, ich geh zu Ihnen und rede mit Ihnen. Das schulde ich Unni. Deshalb sollen Sie wissen, dass ich nicht hier bin, weil ich Angst habe.»
    Sai blickte starr ohne Stolz oder Hoffnung, doch aus seinen großen matten Augen sprach auch unglückliches Mitgefühl, und das war kein gutes Zeichen. Ousep rechnete mit Angst.
    «Ich sag Ihnen jetzt alles, was ich weiß», erklärte Sai, «doch am Ende ist klar, dass ich vielleicht ein paar Sachen vor Ihnen verborgen habe, dass ich aber nicht gelogen habe, als ich immer wieder zu Ihnen gesagt habe, dass Unnis Tod keinen tieferen Grund hatte. Er wollte sterben, und das ist alles. Er hat sich aus demselben Grund umgebracht, aus dem sich andere umbringen. Er wollte nicht mehr leben.»
    Er schwieg eine Weile. Auf einmal bebten seine Nasenflügel, seine Lippen zitterten, und er blinzelte ein paarmal, so, als erinnerte er sich an etwas Schmerzliches. Während er seine Gedanken sammelte, schnäuzte er sich in sein gebügeltes Taschentuch und leckte sich über die Lippen.
    «Warum weinst du, Sai?»
    Sai ließ die Schultern hängen und blickte im Krankenzimmer umher. «Was soll das Ganze? Was ist das Leben, der Weltraum, was ist endlich, unendlich?»
    Aus Sais Mund offenbarte sich Philosophie in ihrer wahren Form – als ein Bündel trüber Fragen, die in der Wissenschaft zu früh gestellt worden waren. Der Junge schwieg erneut. Als er wieder sprechen konnte,

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