Das verbotene Glück der anderen
leisem Geheul und dann wieder zu einem Flüstern – «Ein Mädchen, ich war doch noch ein Mädchen, Mutter, ein Mädchen kann seiner Mutter doch etwas sagen, oder?» Ousep folgt der Stimme bis zur Küchentür. Er sieht seine junge Frau mit eingezogenen Lippen und schräg gestelltem Kopf dastehen. Ihr Finger ist drohend erhoben. Niemand hat ihm gesagt, dass sie sich manchmal so verhält. Jetzt wird klar, warum der Kautschukhändler seine Tochter dem Sohn eines armen Bauern gegeben hat. Er war nicht von Ouseps Prosa fasziniert, wie er behauptet hatte. Er hatte einen Dummen gefunden. Doch in dem Augenblick, als Ousep in der Küchentür steht, empfindet er gekränkte Zuneigung zu seiner Frau.
Mariamma mustert den verbrannten Boden eines großen Aluminiumtopfs und sagt: «Ihr hättet etwas sagen können, Mutter, irgendwas. Selbst wenn der Mann im Boot es gehört hätte.» Mit Entsetzen sieht sie ihn in der Küchentür stehen. Sie schämt sich so sehr, dass sie anfängt zu weinen. Er fragt sie, warum sie so ist.In den kommenden Monaten wird er sie das immer wieder fragen und auch noch gelegentlich in den kommenden Jahren. Sie wird ihm sagen, so sei sie schon immer gewesen, und sie könne nichts dafür. «Aber ich bin nicht verrückt, ich bin eigentlich eine glückliche Frau», wird sie sagen. Sie wird versuchen, sich zu beherrschen und das Mädchen zu sein, das sie als Jungvermählte war, doch alle paar Tage wird sie wieder in Trance geraten, besonders, wenn sie glaubt, sie sei allein.
Mit der Zeit verliert Ousep alle Liebe zu seinem Heim, er wird wie die anderen Männer, die in der Gesellschaft anderer Männer versinken, altgediente Ehemänner, Männer, die bis spät in die Nacht mit ihren Freunden trinken, Männer mit schwachen Oberschenkeln, die nie Fußball gespielt haben, sondern über Fußball reden, und ein andermal darüber, dass Marx Keynes überlegen sei und die Prosa der neuen spanischen Schriftsteller unerreichbar.
Mariamma weiß, dass er sich verändert hat. Sie versucht, ihr Heim so schön wie möglich zu machen, sie steht im Morgengrauen auf und zermahlt alles Mögliche auf großen Steinblöcken, steht schwitzend in den Holzkohleschwaden und kocht stundenlang, damit er isst wie ein Junge und sie ihm dabei zusehen kann. Sie versucht, glücklich zu sein, damit sie nicht wieder dieselben Zustände bekommt wie früher. Vormittags schläft sie mit ihm. Doch Ousep ist den Weg des Malayalis schon zu weit gegangen. Morgens will er wirklich ein guter Mensch sein, ein anständiger Mann, doch nachts kommt er als Leiche zurück. Sie wird bitter und zornig. Um ihn zu bestrafen, nimmt sie die Schneiderschere und schneidet die Ärmel von seinem besten Hemd ab. Sie streiten sich fürchterlich. Er hat sein amputiertes Hemd in der Hand und beschimpft sie, bis sie weint. In derselben Nacht kommt er betrunken nach Hause. Sie schneidet die Beine seiner besten Hose ab. Er kommt weiter betrunken nachHause, und sie zerschneidet weiter seine Kleider. Sie putzt das Haus nicht mehr, lässt alles herumliegen, schafft Unordnung, stellt die Möbel schief.
Ouseps winzige Vogelmutter wartet darauf, Mariamma gebührend zu quälen, doch er hat sie nie lang bei sich wohnen lassen. Sie riecht den häuslichen Ärger und bleibt deshalb hartnäckig, sagt, sie wolle bei ihrem Sohn leben, dem großen Schriftstellersohn, für den sie sich ein Leben lang abgeplagt und schon im Morgengrauen Wasserbüffel gemolken hat. Zu guter Letzt gibt er auf, die Frau kommt, stellt die Möbel gerade, putzt das Haus, kocht für ihren Sohn. Auch seine neun schmarotzerhaften Schwestern ziehen ein, eine nach der anderen, und schikanieren das sonderbare Mädchen, das mit sich selbst spricht. Sie beleidigen sie, behandeln sie schlecht in ihrem eigenen Haus. Er weiß nicht, wie er es ihnen gestatten konnte, leugnet es aber auch nicht – dass er nie einschritt, als sie seine Frau Tag für Tag quälten. Er lässt zu, dass diese kleinkarierten Frauen ihr all das antun. Sie leidet still, vergisst aber nichts. Die vollständigen Tauf- und Familiennamen der Schwestern tauchen in ihren irren Monologen auf, sie wiederholt, was sie zu ihr sagen, hängt die Erinnerungen, die sie an sie hat, an die Wand und stellt ihnen unverblümte Fragen. Selbst heute noch, nach all den Jahren, sagt sie fast jeden Tag: «Ihr seid davongekommen, Annamol, Ihr seid davongekommen.» Das ist das Herzstück von Mariammas Klagen, von ihrem Jammern über alle, die sich an ihr vergangen haben und
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