Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
bestimmt Durst«, meinte Edward. Das war das Einzige, was jetzt noch einigermaßen unverfänglich erschien. Er nahm den Wasserschlauch von der Schulter, zog den Verschluss heraus und bot ihr etwas zu trinken an.
Als ihre Lippen sich um die Öffnung schlossen, lag etwas so Sinnliches in ihrer Bewegung, dass sein Herz einen Sprung machte und seine Hand zuckte. Das Wasser spritzte ihr ins Gesicht und lief über das Mieder ihres Gewands.
Sofort entschuldigte er sich vielmals für seine ungeschickte Reaktion. Sie sah ihm lachend in die Augen. Dann erstarb das Lachen. Ihre Lippen berührten sich zu einem ersten zögerlichen, forschenden Kuss. Und schon wurden beide von Leidenschaft erfasst, die sie auf die weichen Blätter im kühlen, duftenden Schatten der gestürzten Eiche zwang.
Sie liebten einander, schliefen in den Armen des anderen ein, erwachten, um sich wieder zu lieben, und jedes Mal reagierte ihr Körper mit größerer Freude auf die Berührung des anderen. Voller Glück entdeckten sie immer neue Formen, einander Genuss zu bereiten. Der Tag fand kein Ende, so wie er keinen Anfang gehabt hatte. Es war, als würde die Sonne endlos über ihnen kreisen. Sie hatten keinen Hunger, doch ihr Durst schien unstillbar. Schon bald war der Wasserschlauch leer.
Sie schmiegten sich aneinander, doch sie redeten nicht, wie Liebende es sonst gern tun. Denn sie hätten nur über die Vergangenheit reden können, und das hätte ihn mit Schuldgefühlen und sie mit Schrecken erfüllt. Schließlich löste ein unangenehmes, lastendes Schweigen die Leidenschaft ab. Urplötzlich sank die Sonne, als würde sie in den Fluss fallen und ihr Feuer damit erlöschen. Erst da registrierte Edward, dass es dunkel wurde, und Melisande begann zu frösteln.
Er setzte sich auf und wischte sich den Mund. Das Wasser schmeckte süß, doch es hinterließ einen bitteren Nachgeschmack. Er schaute in den Schatten der Bäume und fragte sich, wohin sie nun eigentlich weiterziehen sollen.
»Ich höre etwas«, sagte Melisande. »Schritte.«
Auch er hörte, wie Zweige unter Stiefeln knackend zerbrachen.
»Das wird Drakonas sein«, meinte Edward. Er sah sich nach seinen Kleidern um, die ringsherum verstreut lagen, unter dem Stamm und auch draußen. »Obwohl der normalerweise nicht so viel Lärm macht.«
Ihm ging auf, dass Drakonas vielleicht wusste, womit sie beschäftigt waren. Womöglich wollte er ihnen zeigen, dass er kam. Edward reichte Melisande ihr Gewand, damit sie sich bedecken konnte, ohne sie dabei anzusehen.
Als sie bemerkte, dass er die Augen abwendete, fühlte sie plötzlich Scham. Eilig streifte sie ihr Kleid über den Kopf, um dann festzustellen, dass sie es verkehrt herum angezogen hatte. Seufzend und etwas zitternd zog sie es wieder aus und drehte es um.
»Du bleibst hier. Ich werde ihn ablenken«, sagte Edward, während er seine Hosen zuschnürte.
Inzwischen hatte er es eilig, sie zu verlassen, und dafür hasste er sich – für alles. Jetzt kehrte die Erinnerung an die gemeinsam erlebten Wonnen wieder und erfüllte ihn mit Reue. Er wandte sich ihr zu und kniete vor ihr nieder. Dann nahm er ihr Gesicht sanft in beide Hände.
»Melisande.«
Sie entzog ihm ihren Kopf. »Bitte geh«, sagte sie. »Ich möchte Drakonas nicht sehen. Ich will niemanden sehen. Jedenfalls eine Weile. Bitte, geh einfach.«
Er kam ihrer Bitte nach. Als er unter dem Baumstamm hervorkam, sah er, dass die Nacht heraufzog. Ihr Schatten breitete sich von einem Baum zum nächsten aus wie feuchte Tücher, die man aus dem Fluss holte. Er kam sich vor, als würden sie ausgewrungen und ihm umgehängt, Vorboten für eine Ungewisse Zukunft.
Edwards Herz war schwer. Er fühlte sich überwältigt und verwirrt. Er hatte doch eine Frau, Kinder, ein Königreich. Seinen Gott, der das, was er eben getan hatte, zur Todsünde erklärte.
Zunächst einmal hob er sein Hemd auf und zupfte an einem ausgefransten Ärmelaufschlag. Die lauten Schritte kamen näher. Plötzlich stieg in ihm ein heißer Zorn auf Drakonas auf, der so überdeutlich zeigte, dass er die ganze Zeit gewusst hatte, dass Edward der Versuchung nachgeben würde. Der König schleuderte das Hemd von sich und marschierte von der Lichtung. Er würde sich Drakonas schnappen, ihn zum Lager zurückbringen und die Sache dort mit ihm ausfechten. Diesmal wollte er dem anderen das hochmütige Lächeln aus dem Gesicht schlagen, das dort manchmal stand, als wäre Drakonas der Einzige auf der Welt, der die Wahrheit kannte.
Aus
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