Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
Majestät einzuhalten. Ihr dürft mir gern eine Eskorte mitgeben, wenn Ihr mir nicht traut.«
Der Hauptmann blickte an dem Drachenjäger vorbei auf die leere Straße, auf der heute keine weiteren Reisenden gekommen waren. Es würden auch keine mehr kommen, so lange ein tückischer Drache herumflog. Der Hauptmann dachte an den Markt, dessen Stände so leer waren wie die Straße, an die Menschen, die allmählich unruhig wurden. Sein Blick wanderte zu den leuchtenden Türmen des Palastes, wo der König sich Gerüchten zufolge den Kopf zermarterte.
»Du begleitest ihn«, wies der Hauptmann den Torwächter an. »Seine Majestät soll selbst entscheiden, ob er vorgelassen wird oder nicht. Wenn man ihn abweist, bringst du ihn schnurstracks hierher zurück.« Er wandte sich Drakonas zu. »Seid Ihr damit einverstanden, mein Herr?«
»Selbstverständlich, Herr Hauptmann«, gab Drakonas zurück.
»Ihr solltet Euch lieber sputen«, mahnte der Hauptmann, während er die Tür freigab. »Man weiß nie, wann oder wo das grausame Ungeheuer plötzlich auftaucht.«
»Das weiß man nie«, pflichtete Drakonas ihm höflich bei.
In den sechshundert Jahren, die er nun schon durch die Welt der Menschen streifte, hatte Drakonas viele Reiche gesehen. Ramsgate-upon-the-Aston hatte bisher nicht dazu gehört. Offenbar hatte er etwas verpasst. Die Sauberkeit in der Stadt und der ersichtliche Wohlstand beeindruckten ihn. Beides war durch das Auftauchen des Drachen bedroht. Bran hatte sich wirklich selbst übertroffen. Dass der Drache viele hundert Menschen umgebracht hatte, wie der Junge behauptet hatte, war natürlich gelogen. Sie wollten die Gesetze der Drachen nicht brechen, sondern nur etwas großzügig auslegen.
Das brauchten sie auch gar nicht. Drakonas kannte die Schwächen der Menschen gut genug. Ihm war klar gewesen, dass schon der Anblick eines Drachen, der vom Himmel stieß, Vieh raubte und Scheunen und Heuschober niederbrannte, die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen würde.
»Binnen einer Woche«, hatte er prophezeit, »werden aus hundert toten Rindern hundert tote Menschen. Eine einzige abgebrannte Scheune wird zu einer geplünderten Stadt.«
Es freute ihn, dass sein Vertrauen in die Menschheit gerechtfertigt war.
Der Torwächter trottete verdrießlich neben Drakonas her und ließ sich nicht in ein Gespräch verwickeln. Nur das Klirren seiner Rüstung war zu hören, als er den Fremden schweigend durch die Straßen führte. Drakonas war stets in unmittelbarer Reichweite, doch der Wächter gab sich große Mühe, ihn nicht zu berühren. Nur einmal ließ er sich zu einer Bemerkung herab, als er auf die Abtei der Stadt deutete und erklärte, die Mönche dort wären sicher überglücklich, Drakonas aus den Fängen der Dämonen zu retten. Der Mann führte ihn auch über den Marktplatz, wo man, wie er viel sagend erwähnte, die Hexen verbrannte.
Drakonas achtete nicht auf ihn. Er nahm jede Einzelheit in sich auf und musterte jede Straße, jedes Gebäude, um sich einen guten Eindruck zu verschaffen. Doch in erster Linie interessierte er sich für den Herrscher des schönen Landes Idlyswylde.
Das Schloss ähnelte den Schlössern anderer Reiche, die Drakonas besucht hatte. Es lag auf einem Hügel oberhalb des Flusses. Ursprünglich hatte dort vermutlich ein einfacher Palas mit einer Holzpalisade gestanden. Das heute so stolze Ramsgate-upon-the-Aston hatte wohl mit ein paar strohgedeckten Hütten seinen Anfang genommen, die sich Schutz suchend an die Palisade drängten. Mit den Jahren war aus dem Holzbau ein imponierendes Schloss aus weißen Steinen geworden, mit kleinen und großen Türmen, Wehrgängen und Zinnen, Höfen und Wirtschaftsgebäuden, Ställen und Soldatenunterkünften. An der Südseite der Schlossmauer ragten Gerüste empor, ein Hinweis, dass der Palast noch weiter ausgebaut wurde. Die Stadt hatte sich ebenfalls weiterentwickelt. Statt aus einfachen Hütten bestand sie mittlerweile aus prächtigen Stein- und Fachwerkhäusern mit verputzten Wänden und bunten Schildern. Die Straßen waren gepflastert, und überall standen Blumentöpfe.
Drakonas ließ sich nicht so leicht durch Architektur beeindrucken. Drachen leben in Höhlen, wo die Temperatur das ganze Jahr gleich bleibt, was diesen kaltblütigen Reptilien sehr entgegenkommt. Selbst nach sechshundert Jahren fühlte er sich in Höhlen immer noch am wohlsten. Ihn interessierte mehr, dass Stadt und Schloss offensichtlich blühten und gediehen. Wohlstand war
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