Das verbotene Land 2 - Drachensohn
aufpassen. Er kommt schon, wenn er Hunger kriegt. Falls Ihr Dank erwartet«, fügte sie gereizt hinzu, »das könnt Ihr vergessen. Ihr habt ihn zu dem gemacht, der er ist.«
»Er ist in Gefahr, Bellona. Ich bin gekommen, um Euch beide zu warnen.«
»Er ist in Gefahr, seit er auf der Welt ist. Das weiß ich. Davon anzufangen, ist überflüssig.«
Ihre Hand ruhte am Schwertgriff. »Geht jetzt. Und kommt nicht wieder.«
Bellona war für den Drachen keine Gegnerin. Drakonas konnte das Schwert an der Scheide festwachsen lassen oder es schmelzen lassen, dass es auf dem Boden zur Pfütze zusammenlief. Seine Magie machte ihn zu vielem fähig, und all das hätte er dieser aufreizenden Frau jetzt gern angetan. Doch überall liefen Leute umher, und ein weiterer Pelzhändler kam bereits die kleine Anhöhe zu ihrem Platz heraufgestapft. So schluckte Drakonas seinen Zorn herunter. Auf dem Markt würde sich heute ohnehin herumsprechen, was er getan hatte. Mehr Gesprächsstoff wollte er nicht mehr liefern.
»Heute habe ich ihn gerettet, Bellona«, sagte er im Gehen. »Aber ich kann nicht immer in der Nähe sein. Passt besser auf ihn auf.«
Übellaunig schritt er in Richtung der Marktstände davon. Dabei sah er sich verstohlen um, denn er war sicher, sie würde gleich selbst nach dem Jungen suchen. Dann wollte er ihr folgen.
Bellona wandte sich um, jedoch nur, um mit dem neuen Kunden zu verhandeln.
Drakonas stapfte durch das Gras und verfluchte die Dummheit der Menschen.
Ihm kam Bellonas Gesicht in den Sinn, als sie gesagt hatte: Ihr habt ihn zu dem gemacht, der er ist.
Ihre Anklage ließ ihn stocken. Immerhin hatte sie damit durchaus Recht, wenigstens zum Teil. Und wenn Bellona nicht genug auf ihren Zögling Acht gab, lag es vielleicht daran, dass er ihr die Gefahr nie eindringlich genug klar gemacht hatte. Er hatte das Neugeborene, an dem noch das Blut seiner Mutter klebte, Bellona in den Arm gedrückt und ihr aufgetragen, es in der Wildnis zu verstecken. Er hatte ihr jedoch nie erklärt, vor wem oder warum sie sich verbergen sollten. Ebenso wenig wusste sie von der Magie, die im Kopf des Kindes loderte, oder von den falschen Nonnen.
»Aber wie konnte ich ahnen, wie die Magie in ihm oder seinem Bruder zum Ausdruck kommen würde?«, fragte Drakonas sich frustriert. »Wie hätte ich ihr sagen sollen, was ich selbst nicht wusste? Außerdem hätte ich Grald auf diese Weise vielleicht direkt zu ihr geführt.«
Es war müßig, jetzt darüber nachzudenken. Jammern oder Selbstvorwürfe über mögliche Versäumnisse halfen nicht weiter. Er musste vom schlimmsten Fall ausgehen, nämlich dass die Schwester zu den falschen Nonnen zählte, die den Sohn des Drachen ausfindig machen sollten.
Darum konzentrierte er sich jetzt ganz auf sie – mittelalt, untersetzt, eine mütterliche Gestalt mit Falten um Mund und Augen.
Aber ein scharfer, durchdringender Blick. Wo würde sie nach dem Jungen suchen?
Dort, wo Drakonas das verwundete Kind angeblich hingebracht hatte. Sie würde zur Abtei gehen.
Die Abtei von Schönfeld, die einem wenig bekannten Heiligen dieser Gegend geweiht war, machte im Gegensatz zu den Abteien in den größeren Städten einen bescheidenen Eindruck. Die Priester und Laienbrüder hier führten ein stilles Leben. Man betete, arbeitete auf den Feldern, unterstützte die Armen und unterhielt ein kleines Spital für die Kranken und Verletzten. Da die Abtei sich außerhalb der Mauern von Schönfeld befand, hatte sie eigene Befestigungsanlagen. Eine graue Steinmauer zog sich um das Kloster und die verschiedenen Nebengebäude. Am Haupttor wartete ein Pförtner, der nicht dazu da war, Menschen abzuweisen, sondern ihnen den Weg zu ihrem Ziel zu erklären. Denn hier war jeder herzlich willkommen.
Normalerweise war die Abtei ein Ort der Ruhe, doch zur Zeit des jährlichen Marktes war auch hier viel los. In dem kleinen Gästehaus waren wohlhabende Gäste untergebracht, die einen Anspruch auf die Gastfreundschaft der Abtei hatten. Daneben aber erhielt auch eine große Schar Bettler und Krüppel hier Kost und Logis. Sie erhofften sich einen Anteil an dem Reichtum, welcher auf dem Markt umgesetzt wurde. Drakonas kam an zahlreichen Männern, Frauen und Kindern vorbei, die an der Straße vom Markt zur Abtei hockten oder lagen, saßen oder standen und ihm die Hände oder die Bettelschale entgegenstreckten.
An diesem Elend entlang erreichte er schließlich das Haupttor, wo der Pförtner gemütlich in der Nachmittagssonne saß und
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