Das verbotene Land 2 - Drachensohn
mittlerweile in eine Innenstadt und eine Außenstadt unterteilt. Die Innenstadt enthielt die berühmte Kathedrale, den Palast, die Theater, Regierungsgebäude, Gasthäuser und Herbergen. In der Außenstadt lebten die Bürger, und dort befanden sich die Märkte, Läden und Schänken. Deshalb hielt Ramone nun auf die Außenstadt zu, wo er in verschiedenen Tavernen Stammgast war. Er bevorzugte solche, die an belebten Straßen lagen und einen Hinterausgang in dunkle Seitengassen hatten.
An diesem Abend wählte er die Kneipe Ratte und Papagei. Ihr Name beflügelte seine Phantasie, denn er sah sich als die Ratte, die den Papagei rupfen würde. Auf der Schwelle ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen.
»Überall treffe ich meine Freunde«, klagte Ramone schulterzuckend. Mit schlankem Finger strich er ein dünnes, schwarzes Schnurrbartende glatt, während seine scharfen Augen jedes Gesicht musterten. »Gar nicht so einfach, sich irgendwo in Ruhe zu unterhalten, ohne ständig unterbrochen zu werden.«
Nachdem er kein ehemaliges Opfer entdeckte, schlenderte er in den Schankraum. Nem zögerte noch. Sein Drachenerbe machte ihn eher zum Einsiedler. Dieser überfüllte, stinkende Ort sagte ihm nicht zu.
Alles Licht hier stammte von den Kerzen, die auf den Tischen herunterbrannten, und von einem mickrigen Feuer, über dem ein paar betrunkene Burschen einen Kapaun brieten. Doch es wimmelte vor Menschen und Schatten. Immer wieder wurden Gesichter plötzlich vom Kerzenschein erfasst, um gleich darauf ebenso plötzlich wieder ins Dunkel zu tauchen. Der Gestank von Bier, Erbrochenem und ungewaschenen Körpern vermischte sich mit Gerüchen nach heißem Wachs, gebratenem Fleisch und verbrannten Federkielen. Man hörte Gelächter und Gejohle, Kichern und Fluchen. Die meisten Gäste waren mit sich selbst beschäftigt. Auf die Neuankömmlinge achtete kaum jemand. Wer sie registrierte, reagierte mit einem wissenden Zwinkern oder Grinsen.
Nem wollte rückwärts aus der Tür gehen, doch Ramone, der auf sein erkorenes Opfer achtete wie eine Mutter auf ihr krankes Kind, sagte mit lauter Stimme: »Komm schon, mein Freund, tritt ein und trink mit mir. Was ist los? Ich hoffe, du bist dir nicht zu fein für diesen Laden hier.«
Alle Gespräche brachen ab. Die Leute schauten sie an.
Nem wurde knallrot.
Jetzt konnte er nicht mehr verschwinden.
Also betrat er den Raum. In seiner Unsicherheit setzte er sich auf den ersten freien Stuhl, den er entdeckte. Dabei schlug sein Schwert gegen den Tisch. Seine Gesichtsfarbe wurde noch dunkler. Ramone setzte sich zu ihm und bestellte Bier. Schon kam eine Frau auf den Tisch zu, die Ramone mit einem Stirnrunzeln und einer herrischen Kopfbewegung verjagte. Sie streckte ihm die Zunge heraus und kehrte auf ihren Platz am Feuer zurück.
»Wir wollten ja nur was trinken, hm?«, meinte er zu Nem, der die Frau nicht bemerkt hatte und daher gar nicht wusste, worum es ging.
Das Bier kam in zerdellten Zinnbechern. Ramones Plan war ganz einfach. Er wollte Nem sturzbetrunken machen, ihn unter dem Vorwand, ihn nach Hause zu bringen, in die Gasse hinter dem Haus lotsen, um ihm dort eins überzuziehen und ihn auszurauben.
Jetzt prostete er seinem Opfer zu. »Trink. Das Bier hier ist ausgezeichnet. Das beste der ganzen Stadt.«
Nem nahm einen Schluck, verzog aber das Gesicht. »Das schmeckt bitter«, meinte er.
»Aber es löscht den Durst«, drängte Ramone. »Kipp's runter. Dann stört der Geschmack dich nicht.« Um ein gutes Beispiel zu geben, leerte er den halben Becher.
»Ich habe keinen Durst«, sagte Nem. Er schob den Becher weg. »Ihr wolltet mir von dem Wettkampf erzählen.«
Verdattert musterte Ramone den jungen Mann. Am liebsten hätte er ihm das Bier mit Gewalt eingeflößt, doch das wäre nicht gerade unauffällig gewesen.
»Wettkampf?«, wiederholte er irritiert. Er war so durcheinander, dass er seine List ganz vergessen hatte. »Ach, ja. Das Wettschießen. Lass mich nachdenken. Du sollst alles erfahren.«
Nachdenklich runzelte er die Stirn, während eine Hand an seinen Stiefelschaft glitt. Seine Finger schlossen sich um die Phiole, die er für Notfälle bei sich trug. Mit geübtem Daumendruck entkorkte er sie und verbarg das offene Fläschchen in der hohlen Hand.
»Sechs Pfeile ins Schwarze, einer nach dem anderen. Die letzten drei Pfeile«, prahlte Ramone, der nichts vom Bogenschießen verstand und hoffte, dass es seinem Gefährten ebenso ging, »trafen aufeinander. Der zweite Pfeil ließ
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