Das verbotene Land 3 - Drachenbruder
befand. Er konnte nichts dagegen tun. Wenn er Lysira um Hilfe bat oder sich mit Nem verständigte, musste er sich auch Maristara und den anderen Drachen zeigen.
Maristara hatte ihn gesucht. Im Gegensatz zu Grald würde sie nicht davor zurückschrecken, ein paar hundert Menschen umzubringen, um ihn zu erwischen.
Damit hatte Drakonas in Drachenburg nichts mehr verloren.
»Nem ist auf sich selbst gestellt«, sagte er sich. »Ich kann nichts mehr für ihn tun. Entweder er schwimmt, oder die dunkle Flut schlägt über ihm zusammen. Grald ist tot. Melisandes Söhne haben ihre Mutter gerächt. Ich habe Maristara und Anora das Leben schwer gemacht, aber ich konnte sie nicht aufhalten. Ich habe ihren Angriff auf Idlyswylde hinausgezögert, aber auch den konnte ich nicht verhindern. Vielleicht habe ich alles nur noch schlimmer gemacht. Womöglich sind sie am Rand der Verzweiflung. Jedenfalls muss ich Drachenburg verlassen, und zwar noch bevor Maristara hier ist.«
Das Problem war der Mönch. Er konnte Rosa und Anton noch immer weh tun. Drakonas war ihnen zu sehr zu Dank verpflichtet, um ihnen noch mehr zu schaden.
Drakonas ließ den misshandelten Strumpf fallen. Das Mädchen stand auf und kam zu dem Mönch herüber. Bruder Leopold beäugte sie misstrauisch.
»Ich möchte Euch eine Geschichte erzählen, Bruder«, sagte Drakonas. »Soll ich?«
»Nur zu«, gab der Mönch mit finsterem Gesicht zurück.
»Es war einmal ein Drache, der hatte einen Sohn – halb Mensch, halb Drache. Der Drachensohn wuchs heran. Er wurde zu einem schönen, starken, jungen Mann. Darüber freute sich der Drache, denn er hatte beschlossen, den starken, jungen Körper seines Sohnes zu übernehmen und anstelle seines eigenen zu verwenden. Sobald der Drache in den Körper seines Sohnes geschlüpft wäre, wollte er – getarnt als sein Sohn – seine Feinde überrumpeln und töten. Und dann glücklich bis an sein Ende weiterleben.«
Bruder Leopold hörte zu. Sein Gesicht war wie versteinert.
Drakonas schüttelte den Kopf. »So hätte die Geschichte enden sollen. Tut sie aber nicht.«
»Ach?«, gab der Mönch sarkastisch zurück. »Und wie endet sie deiner Meinung nach?«
»Sehr traurig für den Drachen. Er ist tot.«
Bruder Leopold zwang sich zu einem Lächeln. »Das glaube ich dir nicht. Das ist doch ein Trick.«
»Grald wollte dich rufen, sobald er seinen neuen Körper hat. Aber er hat sich nicht gemeldet, richtig?«
Darauf wusste der Mönch keine Antwort. Er ging zur Tür und starrte stirnrunzelnd in die Nacht hinaus.
»Geh zur Abtei. Sieh selbst«, forderte Drakonas ihn auf. Er war zu ihm getreten.
Der Mönch sah ihn an. »Und was machst du so lange?«, erkundigte er sich spöttisch.
»Ich lasse dich am Leben«, gab Drakonas zurück.
Der Mönch starrte das Kind an, das vor ihm stand. Ungläubig verzog er den Mund.
Er muss wissen, dass ich ein Drache bin. Grald hat es ihm sicher gesagt, bevor er ihn herschickte, um sicherzugehen, dass ich seine Pläne für Nem nicht durchkreuze.
Aber etwas zu hören, ist etwas anderes, als es selbst zu sehen.
Drakonas veränderte seine Illusion. An die Stelle des kleinen Mädchens trat der Schatten des Drachen, der Menschenaugen normalerweise verborgen war.
Bruder Leopold starrte plötzlich auf eine riesige Pranke. Seine Augen wanderten einen geschuppten Leib empor, der das Haus in sich zu tragen schien, denn er enthielt Boden, Zimmer, Kamin, Tisch, Stühle und die schlafenden Menschen.
Der Mönch wich einen Schritt zurück. Sein Blick erfasste den gebogenen Hals und den gesenkten Kopf des Drachen, dessen Schuppen rostrot glänzten, während die Augen grell orange funkelten. Der Drache hob eine Vordertatze und hielt sie über den Kopf des Mönches.
Leopold war ein Soldat, der zur Elite der Drachenarmee zählte. Seit er wusste, wie man einen Menschen durch Magie töten kann, hatte man ihn zum Kämpfen ausgebildet. Aber seine Gegner waren Menschen, keine Drachen – vermutete Drakonas jedenfalls.
Doch Leopold war auch kein Feigling, der den Schwanz einzog und Fersengeld gab. Er wandte dem Ungeheuer, das sich jetzt über ihm erhob, kühl den Rücken zu. Ohne zu zittern, öffnete er die Tür und trat auf die stille, leere Straße hinaus.
Dort blieb Leopold stehen und sah den Drachen an.
»Grald hat es mir erzählt. Man nennt dich den Zweibeiner. Er sagte mir, dass du für die Menschen Partei ergreifen würdest. Aber das spielt keine Rolle, weißt du. Selbst wenn Grald tot ist. Die Menschen können
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