Das verbotene Reich: Thriller (German Edition)
kam es auch so vor.
Er betrachtete die Zeichnung genauer und stellte fest, dass es sich um eine verkleinerte Darstellung dessen handelte, was schon auf dem Boden abgebildet war – Qin Shis Reich. Was hatte Pau Wen noch über die Karte gesagt, die in seinem Haus hing? Sie ist eine Reproduktion von etwas, was ich einmal gesehen habe. Mit einigen Veränderungen.
Malone griff nach seinem iPhone und schoss ein paar Fotos des Saals und der Karte.
»Er hat auf seinem Reich gelegen«, flüsterte er.
»Aber wo ist er?«, fragte sie.
Ni war erschrocken gewesen, als er mit dem Umlegen des Hebels Licht angeschaltet hatte. Der Parteigeneralsekretär hatte ihm berichtet, wie man Strom gelegt und Lampen aufgestellt hatte. Der ganze Zweck der Erkundung hatte damals darin bestanden, sich zu vergewissern, ob man das Grab zusammen mit den Terrakotta-Kriegern für Propagandazwecke verwenden konnte. Aber man stellte fest, dass der Komplex leer war, alle Objekte waren verschwunden, darunter auch der Kaiser selbst. Was erklärte, warum die Regierung keine weitere archäologische Erkundung zugelassen hatte. Es war einfach zu peinlich. All die Fragen, auf die es keine Antworten gab. Daher hatte man den improvisierten Eingang mit einem Brunnenrand versehen, das Gebiet abgesperrt und den Zugang verboten.
Der Parteigeneralsekretär hatte sich gefragt, ob die Lampen noch funktionierten. Die meisten taten ihren Dienst und tauchten eine Flucht von drei gewölbten Vorkammern und der Hauptbestattungshalle in ein phosphoreszierendes Licht. Man hatte ihm gesagt, das Quecksilber stelle keine Gefahr mehr dar, Pau Wen habe es während der ersten Erkundung mit einer Schicht Mineralöl bedeckt.
Ni fragte sich, ob Karl Tang den Weg hier herunter finden würde. Zum Brunnenschacht war er gewiss gekommen, das Abheben der Eisenplatte hatte ja viele frische Spuren hinterlassen. Das Geräusch von Schritten, die sich aus den Tiefen des Gangs näherten, den er gerade hinter sich gelassen hatte, bestätigte, dass jemand ihm nachkam.
Dann hörte er noch etwas anderes.
Etwas bewegte sich in der Hauptbestattungshalle.
Er sah Schatten, die dort über die Wand tanzten.
Eigenartig.
Er spähte durch die verbliebene Flucht der Vorkammern und beobachtete die fernen Schatten. Mit seiner schussbereiten Waffe war er für die Begegnung mit Karl Tang gerüstet.
Aber er saß auch in der Falle.
Zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten.
57
Tang hatte einiges über kaiserliche Gräber gelesen und sogar ein paar bemerkenswerte Ausgrabungen besucht, doch jetzt ging er durch eine vollkommen erhaltene Stätte. Doch offensichtlich war schon jemand hier gewesen. Ein dickes, elektrisches Kabel lief unten an der Wand des Ganges entlang und verschwand vorne in der Dunkelheit. Pau Wen? War das der Grund, warum er auf direktem Wege nach Xi’an gereist war? Aber Pau war in Grube 3 in die Erde eingestiegen, und das war weit von der Stelle entfernt, an der Tang jetzt stand. Nein, Ni Yong war hier eingedrungen. Und das bedeutete, dass sein Gegner mehr wusste als er.
Viktor Tomas und die beiden Brüder gingen durch den Gang voran, der so breit wie eine Prachtstraße war und so finster wie die Nacht. Die sorgfältige Bauweise, die Verzierungen, die Farben – all das war höchst eindrucksvoll. Reliefartig eingeprägte Bilder bedeckten die Wände. Im schwachen Licht ihrer Taschenlampen sah er Szenen aus dem höfischen Leben, Adlige beim Zeitvertreib, eine kaiserliche Prozession, Bären, Adler und mythische Tiere. An ihrem Weg entlang standen bergähnlich geformte Räuchergefäße aus Stein.
Fünfzig Meter weiter vorn ließ ein Lichtstrahl einen Eingang zwischen zwei glänzenden Marmortüren erkennen, die ebenfalls mit Reliefs verziert waren. Dort prangte auf jeder Seite ein Steinlöwe. Schimärenhafte Gestalten – gehörnte Vogelmenschen – schienen zu beiden Seiten aus der Wand zu springen. Über der Tür waren drei Schriftzeichen eingraviert:
Er kannte ihre Bedeutung. »Neben der Hauptstadt.« Was vollkommen passend war. Er rief sich in Erinnerung, was Sima Qian im Shiji über den Ersten Kaiser geschrieben hatte. Qin Shi sah, dass die Bevölkerung seines Reichs gewachsen war, während die königlichen Paläste seiner Vorfahren klein geblieben waren. Daher errichtete er in der Nachbarschaft seiner Hauptstadt südlich des Wei-Flusses einen riesigen neuen Palast. Er war beinahe siebenhundert Meter lang und über hundert Meter breit, und seine Galerien boten zehntausend
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