Das verbotene Reich: Thriller (German Edition)
hatten sich der damalige Parteigeneralsekretär und Deng Xiaoping gegen die Bande verbündet und letztlich die politische Kontrolle in einem weiteren ideologischen Streit – Legalismus versus Konfuzianismus – gewonnen. Der Konflikt war fern der Öffentlichkeit innerhalb der Parteihierarchie beigelegt worden, genau wie dies auch bei der gegenwärtigen Auseinandersetzung der Fall sein würde.
»Worauf arbeitet der Generalsekretär hin?«
»Er versucht zu entscheiden, was das Beste für China ist.«
Das half ihm nicht weiter.
»Herr Minister, vielleicht sind Sie der Überzeugung, dass Sie breite politische Unterstützung genießen, und vielleicht stimmt das sogar. Aber diese Unterstützung würde sofort zusammenbrechen, sollte die Ba die Macht ergreifen. Diese Leute waren immer Legalisten. Jede ihrer Handlungen war auf Unterdrückung des Volkes ausgerichtet. Keiner von ihnen würde Sie dulden.«
»Was könnte ich denn von einer Gruppe von Eunuchen zu befürchten haben?«
Pau zeigte auf die geöffnete Tür auf der anderen Seite des Hofs, die zum Ausstellungssaal zurückführte. »Dort hinten lagern viele großartige Manuskripte aus unserer Vergangenheit. Faszinierende Texte, aber es gibt keine Magna Charta. Es gibt keine großen Foren und keine Independence Hall. Der Despotismus ist unser Erbe, Herr Minister. In der chinesischen Geschichte wimmelt es von Kriegsfürsten, Kaisern und Kommunisten. Samt und sonders Legalisten.«
»Als wenn ich das nicht wüsste. Sie haben einmal für diese Sorte gearbeitet.«
»Sagen Sie mir, wieso glauben Sie, dass Ihr Schicksal irgendwie anders verlaufen wird? Was hätten Sie China zu geben? Wenn Sie das Amt des Parteigeneralsekretärs erhielten, was würden Sie dann tun?«
Für sich hatte Ni schon oft über diese Frage nachgedacht. Die Nation befand sich buchstäblich am Rand des Zusammenbruchs. Das gegenwärtige Regierungssystem war schlicht außerstande, für genug Wohlstand und technische Innovation zu sorgen, um sowohl im Wettbewerb mit der Welt zu bestehen, als auch anderthalb Milliarden Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen. Mit dem Versuch, die ganze Wirtschaft im Sinne von Maos Überzeugungen in den Händen des Staates zu konzentrieren, war man gescheitert. Aber Dengs Politik, einen Wildwuchs ausländischer Investitionen zu ermutigen, war im Anschluss daran ebenso glücklos geblieben.
Das hatte zu Ausbeutung geführt.
China zu regieren kam Ni so vor, als versuchte man an einem windstillen Tag, einen Drachen steigen zu lassen. Man konnte den Schwanz verbessern, die Form ändern, schneller rennen, aber wenn kein Wind den Drachen nach oben trug, blieb man erfolglos. Jahrzehntelang hatte das chinesische F ührungspersonal ignoriert, dass es einfach keinen Wind gab. Stattdessen hatten sie endlos herumgebastelt und versucht, den Drachen mit Gewalt nach oben zu zwingen, aber immer vergebens.
»Ich möchte alles ändern«, sagte er leise, überrascht, dass er diese Worte ausgesprochen hatte.
Aber Pau hatte sie ihm schließlich abgenötigt.
Woher wusste dieser alte Mann so viel über ihn?
»Herr Minister, es hat einmal eine Zeit gegeben, in der die chinesische Kultur mit ihrer fortschrittlichen Landwirtschaft, der Schriftsprache und den hochentwickelten Künsten so überlegen und attraktiv war, dass alle, Eroberte wie Eroberer, sich freiwillig zu integrieren versuchten. Sie lernten uns zu bewundern, und wollten Teil unserer Gesellschaft werden. Dieser Wunsch wurde durch die menschenfreundlichen konfuzianischen Sitten befördert – die Harmonie, Hierarchie und Disziplin betonten. Zahllose alte Texte verweisen auf Völker, die sich so vollständig assimilierten, dass sie nicht mehr als getrennte ethnische Gruppen weiterbestanden. Was ist geschehen? Was hat uns zu einem Volk gemacht, das man meidet?«
»Wir haben uns selbst zerstört«, antwortete Ni.
China hatte tatsächlich aufeinanderfolgende Zyklen von Vereinigung und Auseinanderbrechen durchgemacht – und jedes Mal war etwas verloren gegangen. Etwas Unersetzliches. Ein Teil des kollektiven Bewusstseins. Ein Teil Chinas.
»Jetzt verstehen Sie, warum ich gegangen bin«, sagte Pau ruhig.
Nein, eigentlich verstand er das immer noch nicht.
»Unsere Dynastien sind mit einer fast unheimlichen Vorhersehbarkeit immer wieder gestürzt«, erklärte Pau. »Oft sind die Herrscher der Gründungsgeneration wahre Meister, doch die, die ihnen folgen, sind schwach, unmotiviert oder reine Marionetten. Korruption verbindet
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