Das verbotene Reich: Thriller (German Edition)
offene Meer. Er drehte nach links ab, schlug einen nordwestlichen Kurs ein und flog über die Küstenlinie zurück. Die Steuerung war träge, reagierte aber. Das hier war keine P-3 Orion und auch keine Cessna oder Beechcraft. Dieses Flugzeug war eigentlich nur für kurze Spritztouren von einem See zum nächsten gedacht.
»Schau mal auf den Plan«, sagte er zu Cassiopeia.
Sie studierte die Luftfahrtkarte.
»Wir werden uns am Gelände unten orientieren und so den Weg finden«, stellte er klar.
»Vorausgesetzt, dass diese Karte stimmt.«
»Keine Sorge«, meinte Pau an Malones rechtem Ohr. »Ich kenne diesen Teil Vietnams und Chinas gut. Ich kann den Weg zu unserem Ziel weisen.«
Ni beobachtete das Gesicht des Parteigeneralsekretärs und versuchte einzuschätzen, ob dieser Mann Freund oder Feind war. Er hatte wirklich keine Ahnung.
»Was Sie sehen, ist die Wachsfigur, die vor der Einbalsamierung des Vorsitzenden von ihm angefertigt wurde. Die Leiche ist längst zerfallen und wurde gemäß Maos Wunsch verbrannt.«
»Und warum bleibt das Mausoleum dann geöffnet?«
»Eine ausgezeichnete Frage, die ich mir selber schon oft gestellt habe. Die einfachste Antwort lautet, dass das Volk es erwartet.«
Ni musste es sagen: »Ich glaube, das stimmt nicht mehr.«
»Sie könnten durchaus recht haben. Das ist das Traurige an unserem Erbe. Wir besitzen kein einzelnes Vermächtnis, sondern es gibt nur eine Folge von Dynastien, die jede mit ihrer eigenen Agenda an die Macht gelangte und als Gegnerin des vorangegangenen Kaisers vom Volk begrüßt wurde, dann aber genauso in Korruption versank wie das Regime des Vorgängers. Warum sollte unsere Zukunft anders aussehen?«
»Sie klingen wie Pau.«
»Ich habe Ihnen ja gesagt, dass er und ich uns einmal nahegestanden haben. Aber dann ist eine Zeit gekommen, in der unsere Wege sich getrennt haben.«
Ni überkam ein unangenehmes Gefühl. Normalerweise hatte er die Lage unter Kontrolle und kannte die Fragen und die Antworten. Doch hier war es nicht so. Andere Menschen waren ihm viele Schritte voraus. Daher stellte er die Frage, die ihn wirklich interessierte: »Warum werde ich gegen Karl Tang den Kürzeren ziehen?«
»Weil Sie sich der Gefahren, die Sie umzingeln, nicht bewusst sind.«
»Das Gleiche hat Pau Wen mir auch gesagt.«
»Ich möchte etwas wissen. Sollte ich den Eindruck haben, dass Sie lügen oder mir nach dem Mund reden, wird das hier unsere letzte Unterhaltung sein.«
Ni mochte es nicht besonders, dass der Generalsekretär ihn wie einen Schuljungen behandelte, aber ihm war klar, dass dieser Mann, der es ganz an die politische Spitze geschafft hatte, gewiss kein Dummkopf war. Daher beschloss er, die Frage ehrlich zu beantworten.
»Was würden Sie mit China machen, wenn Sie in meine Stellung gelangten?«
Seit Pau Wen ihm gestern dieselbe Frage gestellt hatte, hatte Ni über die Antwort nachgedacht. »Als Erstes würde ich die Kommunistische Partei von der Regierung trennen. Deren Verzahnung steht an der Wurzel allen Übels. Als Nächstes muss das Führungspersonal anders ausgewählt werden. Verantwortung erhält künftig, wer sich Verdienste erworben hat, und nicht, wer einen einflussreichen Gönner besitzt. Die Rolle des Nationalen Volkskongresses und der Kongresse der Provinzen muss gestärkt werden. Das Volk muss ein Mitspracherecht erhalten. Und als Letztes muss die Herrschaft des Gesetzes durchgesetzt werden, das heißt, die Gerichtsbarkeit muss unabhängig werden und funktionieren. Wir haben uns seit 1949 fünf Verfassungen gegeben und jede einzelne von ihnen missachtet.«
»Da haben Sie recht«, sagte der Generalsekretär. »Die Autorität der Partei ist von irrationaler Politik, Korruption und dem Fehlen von Visionen untergraben worden. Im Falle unse res Scheiterns besitzt gegenwärtig, und das ist meine größte Furcht, nur das Militär die Fähigkeit, das Land zu regieren. Mir ist bewusst, dass Sie selbst von den Streitkräften kommen, aber die Nation hätte als reine Marionette der Militärs nicht lange Bestand.«
»Daran gibt es keinen Zweifel. Die drei Millionen aktiven Soldaten unterstehen sieben regionalen Befehlshabern, zu denen ich selbst einmal gehört habe. Diese könnten unmöglich regieren. Wir müssen das Potenzial an technischem Know-How, Managementtalent und Unternehmergeist in unserem Volk finden und fördern. Die derzeitigen erstarrten Entscheidungsprozesse richten unkalkulierbaren Schaden an.«
»Wollen Sie Demokratie?«
Die Frage war
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