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Das verbotene Reich: Thriller (German Edition)

Das verbotene Reich: Thriller (German Edition)

Titel: Das verbotene Reich: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Berry
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Heimat und einen Sinn gefunden. Er hatte Mao verteidigt und dem Vaterland gedient.
    Er hatte geglaubt, endlich zu wissen, worauf sein Leben hinauslief.
    Bis vor zwei Tagen.
    Er hatte zugesehen, wie der größte Teil der Menschenmenge von der 27. und 28. Division ohne Gewaltanwendung zerstreut worden war. Das Militär war aus den äußeren Provinzen herangekarrt worden, da man in Peking geglaubt hatte, die Divisionen der Hauptstadt könnten Sympathie für die Aufständischen hegen. Die Soldaten, nahezu alle unbewaffnet, waren zu Fuß vorgerückt und hatten die Leute mit Tränengas auseinandergetrieben. Die meisten Demonstranten hatten sich friedlich zurückgezogen.
    Doch der Kern der Rebellen, eine Gruppe von etwa fünftausend Menschen, war geblieben.
    Sie hatten die Soldaten mit Steinen und Backsteinen beworfen und sich hinter ausgebrannten Bussen verschanzt. Panzer rollten in die Stadt ein, und die Demonstranten griffen auch diese an. Einer der Panzer hatte Feuer gefangen, und zwei Soldaten waren getötet worden.
    Von da an war alles anders geworden.
    Gestern Abend war die Armee mit Gewehren, Bajonetten und weiteren Panzern zurückgekehrt. Über mehrere Stunden wurde geschossen. Soldaten wie Demonstranten starben. Ni hatte sich mit dem Befehl, das Gelände gegen Eindringlinge zu verteidigen, am Rande des Platzes befunden, während die 27. und 28. Division weiter Rache übten.
    Alle vorherigen Befehle, nicht zu schießen, waren widerrufen worden.
    Rikschas und Fahrräder hatten sich durch den Aufruhr geschoben, Verwundete geborgen und versucht, sie ins Krankenhaus zu transportieren. Demonstranten waren verprügelt, erstochen und erschossen worden. Panzer zerquetschten Menschen und Fahrzeuge.
    Er hatte zahllose Menschen sterben sehen.
    Vor einigen Stunden waren die ersten Mütter und Väter eingetroffen, und immer mehr drängten sich zu dem inzwischen leeren Platz vor. Alle waren verwarnt worden. Man hatte sie zum Gehen aufgefordert, und die meisten hatten den Befehl befolgt. Aber einige, wie die Mutter, die ihm jetzt gegenüberstand, waren geblieben.
    »Sie müssen die Gegend hier verlassen«, erklärte Ni erneut mit freundlicher Stimme.
    Sie betrachtete seine Uniform. »Hauptmann, mein Sohn dürfte etwa in Ihrem Alter sein. Er war von Anfang an dabei. Als ich gehört habe, was hier geschieht, musste ich kommen. Das verstehen Sie doch gewiss. Lassen Sie mich nach ihm suchen.«
    »Der Platz ist geräumt worden«, erwiderte er. »Er ist nicht hier.«
    »Dort liegen aber Leichen«, erwiderte sie mit einer Stimme, die vor Emotionen bebte.
    Und das stimmte. Kaum hundert Meter entfernt lagen sie außer Sichtweite aufeinandergestapelt wie Holzscheite. Ein Grund dafür, dass man seine Männer hierher befehligt hatte, bestand ebendarin, die Menschen von ihnen fernzuhalten. Die Leichen würden nach Einbruch der Dunkelheit fortgeschafft und in einem Massengrab verscharrt werden, damit niemand die Toten zählen konnte.
    »Sie müssen weggehen«, befahl er erneut.
    Sie stieß den Arm vor, schob ihn zur Seite und ging an der Stelle vorbei, die er seinen Männern zu verteidigen befohlen hatte. Sie erinnerte ihn so sehr an seine eigene Mutter, die ihm das Schwimmen, das Rollschuhfahren und das Autofahren beigebracht hatte. Ein Mensch voller Liebe, dem nichts wichtiger war, als dass ihre vier Kinder alt wurden.
    Bevor er die Frau aufhalten konnte, hob ein anderer Soldat, ein Hauptmann wie er selbst, sein Gewehr und schoss.
    Die Kugel schlug in den Rücken der Frau ein.
    Ihr Körper flog mit einem Ruck nach vorn und krachte mit dem Gesicht aufs Pflaster.
    Wut stieg in ihm auf. Er richtete sein Gewehr auf den Soldaten.
    »Sie haben sie ermahnt, nicht weiterzugehen. Ich habe Sie gehört. Sie hat Sie nicht beachtet. Ich habe unsere Befehle befolgt.«
    Der Hauptmann sah ihn am Gewehrlauf vorbei an, keine Spur von Angst in den Augen.
    »Wir erschießen keine unbewaffneten Frauen«, erklärte Ni fest.
    »Wir tun, was wir tun müssen.«
    Dieser Hauptmann hatte recht gehabt.
    Die Volksbefreiungsarmee tat, was immer sie tun musste, sie tötete auch unbewaffnete Männer und Frauen. Bis heute wusste keiner, wie viele Menschen auf dem Tiananmen-Platz oder in den Tagen und Wochen danach gestorben waren. Mehrere Hundert? Tausende? Zehntausende?
    Alles, was er sicher wusste, war, dass eine Frau ihr Leben verloren hatte.
    Eine Mutter.
    »Wir waren dumm«, sagte der Generalsekretär. »Wir haben so viele törichte Dinge für Mao getan.«
    44
    Lanzhou,

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