Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
Wir machen Fortschritte. Ich verstehe ja …«
»Einen Dreck verstehen Sie.« Stocksteif stand sie da, entschlossen, die rechte Hand erhoben, wackelte mit dem Zeigefinger wie eine Lehrerin, wie eine Mutter. »Hören Sie auf damit! Erzählen Sie mir nie wieder, dass Sie mich verstehen!«
Wieder zu Hause. Wieder an der Spüle, wo sie wie besessen Geschirr wusch, das es nicht nötig hatte, und Arbeitsflächen abwischte, die längst sauber waren. Er war zurückgekommen, saß am Tisch, schwieg. In ihrem kleinen Viertel in Vesterbro war er eine Art König. Der Mann, den die Nachbarn um Hilfe baten, wenn es Probleme mit Rowdys gab. Selbst Einwanderer klopften manchmal an die Tür und baten Theis Birk Larsen um Rat. Als Nanna noch klein war, fünf oder sechs oder sieben, hatte sie einen helläugigen kleinen Straßenjungen, einen Inder, zu ihrem ersten Freund gemacht.
Amir.
Pernille sah die beiden noch vor sich, wie sie Hand in Hand und kichernd im Kasten des Christiania-Dreirads gesessen hatten und von ihr durch die Gegend kutschiert worden waren. Erinnerte sich, wie Theis sich ein paar Schlägertypen aus der Nachbarschaft zur Brust genommen hatte, weil sie Amir belästigt hatten. Nicht gerade mit Samthandschuhen. Das war nicht seine Art. Aber es funktionierte. Amir hatte er verteidigt. Der Junge war auf einem der Bilder auf dem Tisch zu sehen, in dem roten Kasten des Christiania-Dreirads. Nanna …
»Die kriegen ihn«, sagte er schließlich. »Am Ende kriegen sie ihn.«
»Kennst du dich mit so was aus?«
Sie stapelte die Teller und sah ihn vorwurfsvoll an.
»Bei dir haben sie doch auch nicht genug Beweise gefunden, oder? Nicht für alles jedenfalls …«
Er wurde böse. Stand auf und trat dicht vor sie hin.
»Hab ich dich etwa enttäuscht? Bin ich ein armer Ehemann?« Seine Augen blickten wieder listig, waren aber voller Schmerz. »Ein schlechter Vater?«
»Das hab ich nicht gesagt. Ich hab gesagt, gerade du müsstest wissen, dass die Polizei nicht alles findet, was sie finden sollte. Also verlang nicht von mir, dass ich an sie glaube.«
Er legte ihr die Hände auf die Hüften. Sie entzog sich ihm.
Er fluchte, nahm seine Lederjacke, zog sie an.
»Ich fahr zum Haus rüber.«
»Tu das.«
Sie begann das Geschirr der Jungs noch einmal zu spülen.
»Fahr zu deinem blöden Haus und versteck dich da.«
»Was?«
»Das machst du doch immer, wenn’s schwierig wird. Stimmt’s nicht? Davonlaufen.«
Sie stellte die Teller weg, zog ihre Handschuhe aus und drehte sich zu ihm um, fand den eigenen Mut grausam und aufregend, fand Worte, die sie früher nie auszusprechen gewagt hätte.
»Das hast du auch bei Nanna gemacht.«
»Was zum Teufel soll das heißen?«
»Wenn sie reden wollte. Du hast nie Zeit für sie gehabt. Bist einfach weggegangen. Runter in die Garage. Runter, um mit Vagn zu reden. Stimmt’s vielleicht nicht?«
»Nein.« Er machte einen Schritt auf sie zu. »Das stimmt nicht.«
Pernille nahm die Teller vom Tisch, räumte sie weg. Die Jungs waren mit Lotte unterwegs. Zum Glück.
»Warum hatte sie so viele Geheimnisse? Warum haben wir nichts von ihrem Leben gewusst?«
»Weil sie neunzehn war! Hättest du in dem Alter gewollt, dass deine Eltern wissen, was du machst? Außerdem … ihr beide habt immer wie Pech und Schwefel zusammengehalten …«
»Weil du nicht da warst.«
Das Brüllen eines Löwen. Wut und Schmerz.
»Ich hab gearbeitet. Hab das Geld für ihre Schule verdient. Das Geld für alles hier. Du hast sie immer tun lassen, was sie wollte. Abends ausgehen, Gott weiß wann nach Hause kommen, nie sagen, mit wem sie zusammen war oder warum.«
»Hab ich nicht gemacht. Das stimmt einfach nicht.«
»Doch. Das war dir alles egal.«
Tränen in ihren Augen. Wut in ihrem Gesicht.
»Wie kannst du so was sagen? Wie kannst du es wagen? Ich konnte nie schlafen, solange sie nicht wieder da war.«
»Na toll.«
»Jedenfalls hab ich’s nicht an ihr ausgelassen.«
»Und, was hat uns das genützt?«
Er wies mit einer ausgreifenden Bewegung auf die leere Küche.
»Sieh dir das an«, sagte Theis Birk Larsen. »Das …«
Aber sie war weg, stürmte ins Schlafzimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
Er aß seine Sandwiches an seinem Schreibtisch. Wollte die Garage nicht verlassen. Wollte nicht arbeiten. Vagn Skærbæk kam herein. Schwarze Mütze, rote Latzhose, beschwingter Gang wie immer, um den Hals die Silberkette.
»Rudi und ich fahren zum Haus. Kommst du mit?«
Birk Larsen saß zusammengesunken
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