Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
Bigum. Du musst umdenken, Morten. Wir können Bremer auch ohne diese heuchlerischen Mistkerle von der Zentrumspartei von seinem hohen Ross herunterholen.«
»Nein, Troels! Das können wir nicht. Allein bekommen wir nicht genug Stimmen.«
Hartmann schüttelte den Kopf. Rie Skovgaard schwieg, lächelte.
»Wie lange spielen wir dieses Spiel jetzt schon, Morten? Zwanzig Jahre? Und immer nach denselben Regeln. Ihren. Von jetzt an wird nach meinen Regeln gespielt. Lade die Führer der Minderheitsparteien für heute Abend zu einem Treffen ein. Sag ihnen, ich hab einen wichtigen Vorschlag zu machen.«
»Die Hälfte von denen hasst dich«, sagte Weber.
»Nicht mehr, als sie sich gegenseitig hassen.«
»Die unterstützen doch Bremer!«
»Nicht mehr, wenn sie die Umfragewerte sehen. Die unterstützen jeden, der am Gewinnen ist.«
Er sah sich im Wahlkampfbüro um. Überall Plakate mit seinem Gesicht. Das bescheidene Lächeln. Die weit geöffneten blauen Augen. Der neue Besen, der den alten hinausfegen will.
Hartmann zeigte auf sein Konterfei: »Das bin ich.«
»Er hat in der Nacht vollgetankt, als Nanna starb. Vor zehn Tagen«, sagte Meyer.
Sie sahen sich im Büro die Überwachungsvideos an. Schwarzweiß, in vier Fenster unterteilt. Datum und Uhrzeit jeweils in einer Ecke des unscharfen Bildes.
»Die Bänder laufen rund um die Uhr. Die Chancen, dass wir nach der langen Zeit fündig werden, sind ziemlich gering, Lund.«
Sie saß näher am Bildschirm. Schaute. Die Zahlen. Die schattenhaften Gestalten, die sich zwischen den Zapfsäulen bewegten. Alles.
»Die Bänder werden immer wieder überspielt«, fuhr Meyer fort. Und wenn es so lange her ist …«
»Die ist es nicht.« Lund drücke auf »Auswerfen« und nahm die Kassette heraus.
»Eine haben wir noch.«
»Es ist immer die letzte«, sagte Lund.
Er holte tief Luft.
»Es ist selten die letzte, Lund.«
»Schau auf den Bildschirm. Vielleicht siehst du was, was ich nicht sehe. Bitte.«
Er nahm mit einer Hand eine Banane, mit der anderen eine Zigarette. Zündete die Zigarette an. Das Video begann. Das Datum in der Ecke war der 7. November.
»Shit«, murmelte Meyer. »Das ist vom letzten Freitag. Wie ich gesagt hab: Die überspielen die Bänder jede Woche. Deswegen sind sie so verkratzt.«
Er trank einen Schluck lauwarmen Kaffee. Außer ihnen war niemand mehr da. Eine Putzfrau kehrte draußen den Flur.
»Was nicht heißt, dass alles auf dem Band vom 7. ist, oder?«, sagte sie. »Bei unseren Videos zu Hause …«
Mark als Baby, damals, als sie noch verheiratet war. Die Videos lagen alle durcheinander. Verschiedene Monate, verschiedene Jahre. Es war schwer, den Überblick zu behalten, wenn man dieselben Kassetten immer wieder benutzte.
»Spul mal vor«, sagte sie.
Meyer drückte die Taste auf der Fernbedienung.
Schwarzweiße Autos, hin und her rennende, verschwommene Figuren.
»Stopp«, sagte Meyer.
Er klatschte in die Hände und stieß einen Freudenschrei aus. Sie sah ihn an. Große Ohren, große Augen. Großes Kind. Dann machte er ein langes Gesicht.
»Ich wollte dich nur aufheitern.«
»Da ist der 31.«
»Sag ich ja.«
Gegen acht Uhr abends. Er spulte zurück, zu weit, spulte langsamer wieder vor. Siebzehn Uhr. Vier Bilder. Nur ein Auto. Ein weißer Beetle.
»Shit«, murmelte Meyer wieder.
»Die Uhr geht falsch. Wozu auch alles minutengenau aufzeichnen? Spul weiter vor.«
Der Beetle verschwand. Gähnende Leere. Nur der Betonboden und die Beleuchtung über den Zapfsäulen. Dann, um zwanzig Minuten und 37 Sekunden nach sieben fuhr ein schwarzer Wagen an die Zapfsäule im rechten oberen Bild und blieb ruckartig stehen, wie in einem Trickfilm. Meyer las blinzelnd das Kennzeichen.
»Das ist er«, sagte er.
Es regnete. Das hatte Lund bis jetzt nicht bemerkt. Wusste, was es bedeutete. Bedeuten musste. Die Sorte Fall war es. Die Tür ging auf. Der Fahrer stieg aus. Er trug einen langen dunklen Winteranorak. Die Kapuze über den Kopf gezogen. Ging nach hinten zum Tankdeckel. Nicht ein einziges Mal war sein Gesicht zu sehen.
»Sh…«, setzte Meyer an.
Sie legte ihre Hand auf seine.
»Warte.«
Um den Kofferraum herum zur Zapfsäule. Den Kopf die ganze Zeit gesenkt.
»Komm schon, Herrgott nochmal«, flüsterte Meyer und zog ungeduldig an seiner Zigarette.
Es war eine Zapfsäule mit einem Kartenschlitz neben dem Zapfhahn. Die Hand des Mannes schob eine Karte hinein, zog sie wieder heraus. Kein Gesicht. Er ging zum Tankdeckel zurück und dann zur
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