Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
dachte, das muss sie nicht auch noch von dir hören.«
Sie hatte Tränen in den Augen, und er wünschte, er könnte sie fortwischen.
»Ich wollte nur, dass sie sich in der Schule anstrengt!«
»Ich weiß. Aber es ging nicht nur um die Schule. Was glaubst du wohl, warum sie nur mit mir geredet hat?«
»Warum?«
»Weil du sie daran hindern wolltest, die gleichen Fehler zu machen wie du früher. Wie wir früher. Du wolltest, dass sie perfekt ist, weil wir’s nicht waren.«
»Erzähl du mir nichts von Fehlern, Theis! Das muss ich mir nicht anhören.«
Sie wandte ihm wieder den Rücken zu. Ging ins Badezimmer. An der Waschmaschine vorbei, am Trockner. Am Wäschekorb. An den Waschmitteln. Und plötzlich schrie sie, kreischte, packte alles, was sie in die Finger bekam. Kleider flogen durch die Luft, Glas splitterte, Waschpulver hüllte sie in eine weiße Wolke. Birk Larsen ging zu ihr, wollte sie in die Arme nehmen. Sie schlug auf ihn ein, weinte, fluchte, trat nach ihm, schrie. Dann fiel sie gegen die Tür, atemlos, schluchzend. Der Moment ging vorbei, die Wut klang ab. Der Grund dafür noch zwischen ihnen, lebendig, schmerzhaft. Pernille ging ins Schlafzimmer, schloss die Tür. Langsam, mit großen, ungeschickten Händen, begann er, die Sachen vom Boden aufzuheben. Die Laken. T-Shirts und Unterwäsche der Kinder. Die kleinen Dinge, die einmal die Bindung ausgemacht hatten, die sich Familie nannte, den Bund, der nun in Scherben lag wie das zerbrochene Glas auf dem Boden.
Olav Christensen saß in seinem grauen Beamtenanzug Lund gegenüber. Er wirkte nervös.
»Sie waren nie in der Wohnung?«, fragte Lund.
»Nein. Wieso? Das ist eine Parteiwohnung. Ich arbeite fürs Rathaus.«
Sie schwieg.
»Was ist?«, fragte Christensen.
»Sie hätten auch einfach nein sagen können.«
Lund notierte sich etwas.
»Haben andere die Wohnung nach dem Plakatfest benutzt?«
»Wieso fragen Sie mich das? Ich weiß es nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil ich in der Schulverwaltung sitze.«
»Sie sind angeblich ständig in Hartmanns Büro.«
»Zwangsläufig. Er ist mein Chef.«
»Mögen Sie ihn?«
Christensen zögerte.
»Man kann’s ihm nicht so leicht recht machen.« Dann, etwas angespannter: »Worum geht’s eigentlich?«
»Sagt Ihnen der Name Faust etwas?«
»Ja.«
Sie sah von ihrem Notizblock auf.
»Das ist der, der seine Seele dem Teufel verkauft hat.«
Einen Moment lang wirkte Christensen sehr zufrieden mit sich.
»Kennen Sie jemanden mit diesem Spitznamen?«
»Nein. Aber wenn der Schuh passt, dann würden ihn bestimmt viele anziehen.«
Meyer klopfte an die Glastür. Lund ging hinaus. Die Computerspezialistin hatte eine E-Mail von einer Frau entdeckt, die mit Faust auf der Heartbreak-Website gechattet hatte. Jetzt hatten sie einen Namen. Lund nahm den Zettel, den Meyer ihr gab, und ging ins Büro zurück.
»War’s das?«, fragte Christensen.
»Nein. Mein Kollege macht weiter. Ich muss weg.«
Sie ging hinaus. Christensen, schwitzend in seinem Anzug, blieb am Tisch sitzen. Dann kam Meyer herein, musterte ihn von oben bis unten. Holte eine Packung Zigaretten und eine Banane hervor. Ein Bissen von der Banane, dann ein Zug an der Zigarette.
»Ich muss wieder an die Arbeit«, sagte Christensen.
»Was Sie nicht sagen.«
Meyer biss noch einmal von der Banane ab, dann krempelte er die Ärmel hoch.
»Ich hatte einen richtig beschissenen Tag bis jetzt«, sagte er und betrachtete die Schriftstücke, die Lund liegenlassen hatte. »Mal sehen, ob wir das ändern können, ja … Olav?«
Birk Larsen saß allein in seinem roten Transporter, den er an der Straße durch Valby Richtung Süden abgestellt hatte. Ein Sixpack Tuborg auf dem Beifahrersitz. Zwei Dosen geleert, die dritte auf dem besten Weg dazu. Er sah die Autos und Lastwagen vorbeirauschen. Er rauchte. Er trank. Versuchte nachzudenken.
Durch die grünen Wiesen rechts führte ein Weg, auf dem ein Mann mit seinen Kindern spazieren ging. Drei Menschen und ein Hund. Anton und Emil hatten keinen Hund. Wünschten sich sehnlichst einen. Keine gute Idee in der Wohnung. In einem Haus … Er dachte an Humleby und die Baustelle dort. An das viele Geld, das ihn Hausschwamm und bröckelndes Mauerwerk gekostet hatten. Mit Träumen hatte er nichts am Hut. Die waren etwas für Dummköpfe. Birk Larsen sah sich als einen praktischen Menschen, einen, der im Hier und Jetzt lebte, Vergangenes vergangen sein ließ, keine Angst vor der Zukunft kannte. Ein Mann, der arbeitete und für
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