Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
aber sie war da. Das hätte ich sagen müssen.«
Er warf einen Blick auf sein Handy.
»Ich warte auf einen Anruf. Bei meiner Frau kann es jetzt jeden Moment so weit sein.«
Birk Larsen sah auf die kahle weiße Wand, dann auf den Mann im Rollstuhl.
»Es tut mir leid.«
Der Kopf des Lehrers bewegte sich. Ein Nicken. Schmerzhaft vielleicht.
»Wenn ich irgendwas für Sie tun kann, Kemal, sagen Sie’s bitte.«
Der Mann im Rollstuhl schwieg noch immer.
»Ein Baby verändert den Menschen«, murmelte Birk Larsen. »Sie brauchen das vielleicht nicht. Aber bei mir …«
Kemal beugte sich vor.
»Sie sind mir nichts schuldig.«
Sie trafen die Frau an der Eisbahn in Kongens Nytorv. Jede Menge Mittelschichthäuser, brauner Backstein, vierstöckig. Jede Menge Mittelschichtkinder in leuchtend bunten, teuren Kleidern. Ein Mann – ihr Mann vermutlich – hielt sie in den Armen, und sie lachte einem Jungen in Marks Alter zu, der auf der Eisfläche herumalberte. Hübsche Frau. Mitte dreißig. Langes gelocktes Haar, fröhliches Gesicht. Der Mann grauhaarig. Älter. Weniger fröhlich. Der Junge kam heran, und der Mann ging mit ihm zu einem Stand, um Kaffee und Kekse zu kaufen. Ein Einzelkind, dachte Lund. Wie Mark. Das sah man.
Die Frau war jetzt allein. Meyer marschierte zu ihr, fragte: »Nethe Stjernfeldt?«
Sie zeigten ihre Ausweise vor.
»In Ihrem Büro hat man uns gesagt, wir könnten Sie hier finden.«
»Worum geht’s?«
»Wir würden Ihnen gern ein paar Fragen zu einem Bekannten von Ihnen stellen.« Meyer sah sich um. »Aus einem Datingportal.«
Die Frau schwieg. Der Mann kam mit dem Kaffee zurück.
»Ich bin Nethes Mann. Was gibt’s?«
»Wir sind Kriminalbeamte«, sagte Lund so freundlich wie möglich. »Wir müssen mit Ihrer Frau sprechen.«
Er reagierte gereizt. Besitzergreifender Typ. Arrogant.
»Was ist passiert?«
»Nichts«, antwortete Lund. »Aber sie hat möglicherweise etwas gesehen, das ist alles.«
»Würden Sie kurz hierbleiben?«, sagte Meyer. »Wir müssen allein mit ihr sprechen.«
Sie gingen mit ihr an den Rand der Eisbahn. Nethe Stjernfeldt schien nicht sehr erfreut.
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte sie, als Lund sie nach der Website des Heartbreak Clubs fragte.
»Sie waren also noch nie in einem Datingportal?«
Sie errötete.
»Nein. Wieso?«
»Sie hatten nie Kontakt mit einem Mann, der sich Faust nennt?«, fragte Meyer.
Der Junge war wieder auf dem Eis. Die Frau lächelte, winkte ihm zu.
»Eine Frau, die sich Fanny Hill nannte, ist mit Faust ausgegangen«, sagte Lund. »Eine Frau mit Ihrer E-Mail-Adresse.«
Nethe Stjernfeldt sah zu ihrem Mann hinüber, der dem Jungen auf dem Eis zuschaute.
»So was ist kein Verbrechen«, sagte Meyer. »Wir möchten nur gern wissen, ob Sie das sind.«
»Nein, das bin ich nicht. Ich hab keine Ahnung, wovon Sie reden.«
Meyers Stimmung schlug um.
»Am 14. Dezember hat Fanny an Faust geschrieben, sie würde sich gern mit ihm treffen. Selbe Zeit, selber Ort. Was wissen Sie darüber?«
»Nichts, gar nichts. Hören Sie, mein Sohn hat heute Geburtstag!«
Sie setzte sich in Bewegung. Lund folgte ihr.
»Waren Sie in der Wohnung in der Store Kongensgade?«
Ihre Locken flogen, so heftig schüttelte sie den Kopf.
»Ich weiß nichts von einer Wohnung.«
Meyer vertrat ihr den Weg und streckte die Hand aus, um sie aufzuhalten.
»Wir müssen wissen, wer Faust ist«, sagte Lund.
»Hat die Polizei nichts anderes zu tun, als in den Mails von irgendwelchen Leuten herumzuschnüffeln?«
»Wenn’s nicht Ihre Mails sind, Nethe …«, begann Meyer.
»Lassen Sie mich in Ruhe.«
Sie stürmte davon. Ihr Mann kam mit finsterer Miene heran.
»Wenn Sie mit meiner Frau sprechen wollen, rufen Sie vorher in meinem Büro an. Sie können hier nicht einfach aufkreuzen und einen Kindergeburtstag verderben. Was sind Sie nur für Menschen?«
»Menschen, die viel zu tun haben«, antwortete Meyer. »Damit, dass sie belogen werden.«
Er zwinkerte dem Mann zu.
»Sie wissen sicher, wovon ich rede.«
Eine Flut von Verwünschungen, dann entfernte er sich.
»Setz jemanden auf sie an«, sagte Lund. »Wir müssen sie allein erwischen.«
Es war sechs vorbei, als Theis Birk Larsen nach Hause kam. Die Garage war leer. Oben half Pernille den Jungen, ihre Sachen zusammenzupacken.
»Hallo, Papa«, sagte Anton. »Du kannst nicht mit.«
»Mama sagt, du musst arbeiten«, fügte Emil hinzu.
Pernille hatte ihren Wintermantel an. Neben ihr stand ein Koffer.
»Seht
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