Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
stand im Halbdunkel und beobachtete die Szene. Beneidete sie. Fürchtete sie. Carsten drehte sich um. Sein Haar war blonder, als sie es in Erinnerung hatte. Und länger. Er trug eine modische neue Kunststoffbrille und einen schicken braunen Anzug. Kein Kollege hätte so im Polizeipräsidium herumzulaufen gewagt.
»Hallo!«, sagte sie fröhlich, trat aus dem Halbdunkel und lächelte ihn an.
»Sarah!«, rief Carsten, etwas zu laut.
Keine Umarmung. Auch Mark lächelte. Einen Moment lang spürte sie wieder das kurzlebige, zerbrechliche Band der Familie. Sie ging zu Mark und strich ihm übers Haar, nahm keine Notiz davon, dass er unmutig zurückwich.
»Seit wann bist du hier, Carsten?«
Er hielt den Hockeyschläger lässig, wie ein Profi. Für Mark.
»Seit heute Nachmittag. Das ging plötzlich alles ganz schnell.«
»Sie haben ein Haus in Klampenborg gemietet«, sagte Vibeke. »Willst du was essen?«
Lund nickte. Vibeke trat gutgelaunt an den Herd.
»Das Jobangebot kam letzte Woche«, fuhr Carsten fort. »Die Chance, wieder hierherzuziehen … Da konnte ich einfach nicht nein sagen. Brüssel und zwei kleine Kinder … Wir haben nur noch gearbeitet.«
Mark stand auf, nahm den Schläger und machte ein paar Probeschläge.
»Außerdem hab ich den da vermisst.« Carsten legte Mark den Arm um die Schultern. Sie standen nebeneinander, als sollten sie fotografiert werden. Wieder zwang sich Lund zu einem Lächeln.
»Und was ist mit euch und Schweden?«
»Das haben wir erstmal verschoben«, sagte sie schnell.
»Bengt hatte einen Unfall, hab ich gehört?«
Lund sah ihre Mutter an.
»So schlimm war’s nicht.«
»Er hat sich den Arm gebrochen!«, rief Vibeke.
Sie reichte Lund einen Teller mit Eintopf.
»Die Housewarming-Party ist gestrichen«, fuhr sie fort. »Und meine Fahrt nach Løgumkloster auch.«
»Ich arbeite an einem Fall«, sagte Lund. »Da geht’s nicht wie in Brüssel. Von neun bis fünf.«
Carstens Arm lag noch um Marks Schultern. Es wirkte jetzt besitzergreifend, nicht wie eine Umarmung.
»So was kommt vor«, sagte er. »Aber dann ist es wohl auch nicht so eilig.«
»Ha!« Vibeke wieder. »Wie auch? Bengt hat die Umzugskartons zurückgeschickt. Sie stehen bei mir im Keller. Unberührt.«
Mark strahlte.
»Heißt das, wir ziehen nicht nach Schweden?«
Carsten nahm seinen Arm fort.
»Ich muss jetzt wirklich nach Hause und noch was helfen. Danke für den Drink.«
Er umarmte Vibeke, küsste sie. Bekam ein strahlendes Lächeln dafür.
»Ich freu mich immer, dich zu sehen, Carsten«, sagte sie. »Du bist hier jederzeit willkommen.«
Er umarmte Mark. Klopfte auf den Hockeyschläger.
»Ich bring dich noch raus«, sagte Lund.
Die Wohnung lag im dritten Stock. Sie drückte auf den Liftknopf.
»Ich will ja nicht neugierig sein, aber ich hoffe, es gibt keine Probleme zwischen dir und Bengt.«
»Das kriegen wir schon hin.«
»Karen lässt fragen, ob ihr nicht morgen Abend zum Essen kommen wollt. Das wär doch schön. Die Mädchen könnten Mark hallo sagen.«
»Ich kann nicht.«
Das Lächeln verschwand. Ein Nein hörte er nicht gern.
»Ist es okay, wenn Mark kommt?«
Der Aufzug brauchte ewig. Sie drückte noch einmal auf den Knopf.
»Soll ich ja sagen, damit du wieder mal absagen kannst? Wie üblich?«
Er verschränkte die Arme. Teurer Mantel. Teure Brille. Lässige Akademikerfrisur. Carsten hatte sich neu erfunden und war jetzt der Mann, der er sein wollte.
»Du hast abgenommen«, sagte er. »Sonst scheint sich ja nichts verändert zu haben.«
»Es geht mir gut.«
Ihr Handy klingelte. Meyer auf dem Display.
»Ich hab Vibeke meine Adresse und Telefonnummer gegeben.«
»Okay.«
Sie ging zur Tür zurück, horchte. Carsten wollte nicht länger auf den Lift warten und nahm die Treppe.
»Ich hab mit dem Tagungszentrum gesprochen«, sagte Meyer.
»Und?«
»Bis Sonntagnachmittag hat niemand dort Hartmann gesehen. Er hatte Grippe. Rie Skovgaard hat mit den Sponsoren verhandelt.«
»Wir reden morgen früh darüber, Meyer, ja? Gute Nacht.«
DONNERSTAG, 13. NOVEMBER
Kurz nach acht, Lund und Meyer schauten im Büro die Morgennachrichten. Rie Skovgaard vor einem Wald von Mikrofonen.
»Der Schulsenator hat gestern Abend eine Zeugenaussage gemacht«, sagte sie. »Er hat uneingeschränkt kooperiert und konnte der Polizei mit Informationen weiterhelfen, über die sie vorher nicht verfügte. Auf Einzelheiten kann ich nicht näher eingehen, möchte aber betonen, dass Troels Hartmann in keinerlei –
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