Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
Polizei hatte er nichts übrig, aber vielleicht wurde es Zeit, mit ihnen zu reden. Er wollte etwas wissen, etwas finden. Oder wenigstens dazu beitragen.
Ein Brummen in der Luft. Ein Hubschrauber. An der Unterseite die Aufschrift POLITI. Er hatte sich auf der Fahrt hierher nicht groß darum gekümmert, wo er sich befand. Nanna war bei Oliver Schandorff. Mehr brauchte er nicht zu wissen. Jetzt fiel ihm ein, dass in der Nähe das Marschland östlich des Flughafens lag. Dort hatte alles angefangen, hatte Pernille gesagt.
Lund befand sich wieder auf dem ebenen Gelände des Kalvebod Fælled, wo man das blutverschmierte Top gefunden hatte, und schaute auf die Karte.
»Fahren wir zurück«, sagte Meyer und zündete sich noch eine Zigarette an.
Ihr Handy klingelte.
»Kommst du jetzt mit nach Schweden oder nicht?«, fragte Bengt Rosling.
Sie musste einen Moment überlegen, dann sagte sie: »Demnächst.«
»Wie wär’s mit einer Housewarming-Party am Samstag? Wir könnten Lasse, Missan, Bosse und Janne einladen.«
Lund ließ den Blick über den verblassenden Horizont wandern und wünschte, sie könnte die Zeit ein wenig verlangsamen, die Dämmerung aufhalten.
»Und meine Eltern«, fuhr Bengt fort. »Und deine Mutter.«
Lund sah noch einmal auf die Karte, blickte noch einmal über das Marschland und zum Wald hinüber.
»Deine Mutter will das Gästezimmer einrichten«, sagte Bengt.
Drei Kinder schoben ihre Fahrräder vorbei. Sie hatten Angelruten bei sich. Mark ging nie angeln. Es gab niemanden, der ihn mitnahm.
»Das wär schön.« Sie versuchte Meyer mit einer Geste auf die Kinder aufmerksam zu machen.
»Ich möchte nicht, dass sie auf dem Sofa schläft«, sagte Bengt.
Aber Lund hörte nicht mehr zu. Die Hand mit dem Telefon hing neben ihrer blauen Regenjacke herab.
»Was ist da drüben?«, fragte sie Meyer.
»Noch mehr Wald. Und ein Kanal.«
»Habt ihr auch im Wasser gesucht?«
Er verzog das Gesicht. Meyer war der Typ Mann, der noch im Schlaf wütend aussehen konnte.
»Das Mädchen ist in die andere Richtung gerannt!«
Lund hob das Handy wieder ans Ohr.
»Bengt, wir schaffen den Flieger nicht.«
»Was?«
»Flieg du schon mal voraus. Ich komm dann morgen mit Mark nach.«
Meyer stand mit verschränkten Armen da, schob sich Chips in den Mund, zog zwischendurch an seiner Zigarette.
»Haben wir ausgebildete Taucher unter den Technikern? Und Ausrüstung?«, fragte Lund.
»Wir haben genug Leute, um einen kleinen Krieg zu führen. Was ist mit Schweden? Machen wir uns an die Arbeit. Sonst kommst du da nie hin.«
Sie fuhren zu dem Kanal hinüber. Gingen dort auf und ab. Bei einer niedrigen Eisenbrücke waren Reifenspuren zu sehen. Vom matschigen Ufer direkt in das schwarze Wasser.
Die öde Gegend spiegelte Theis Birk Larsens Gemütszustand wider: ein Labyrinth von Sackgassen und sinnlosen Abzweigungen. Ein Labyrinth ohne Ausgang. Er fuhr und fuhr, in den erlöschenden grauen Sonnenuntergang hinein, von ihm fort, fand nichts. Selbst das Dröhnen des Hubschraubers war nicht mehr zu hören. Pernille war jede schmerzende Sekunde bei ihm, ihre schrille, angstvolle Stimme aus dem Kopfhörer, den er sich ans linke Ohr geklemmt hatte.
»Wo ist sie?«
Wie viele Male hatte sie das schon gefragt? Wie viele Male er?
»Ich suche sie.«
»Wo?«
Auf dem Kalvebod Fælled, hätte er am liebsten gesagt. Wo Anton einmal auf einem Schulausflug gewesen war. Den ganzen Tag hatte er damals von Käfern und Aalen geredet, dann hatte er das ganze verdammte Thema wieder vergessen. Vor ihm Lichter. Eines davon blau.
»Überall.«
Der Weg führte oberhalb des schmalen Kanals entlang. Lund betrachtete die Reifenspuren, den Kranwagen, die Ketten. Das Auto, das aus dem trüben Wasser auftauchte.
Schau hin, denk nach, benutz deine Phantasie.
Jemand hatte den Wagen oben auf dem Weg abgestellt, mit den Vorderrädern zum Wasser. War ausgestiegen, hatte ihn angeschoben. Den Rest hatte die Schwerkraft besorgt. Meyer stand neben ihr, schaute zu, wie das Auto in die Höhe gezogen wurde. Wasser lief aus allen Türen. Es war so schwarz wie der Kanal und glänzte, als sei es tags zuvor gewaschen worden. Ein Ford mit Hecktür. Nagelneu.
»Frag nach, wem der Wagen gehört, »sagte Lund, als das Kennzeichen sichtbar wurde.
Der Kranwagen stand auf der Böschung, sein Ausleger ragte weit über den Kanal. Er schwenkte das Auto weg vom Wasser, ließ es über dem grasbewachsenen Weg baumeln. Dann lotsten drei Beamte es langsam herab, bis es auf
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