Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
verzweifelt, gestützt von den Armen, die er kurz zuvor mit Bärenkräften abgewehrt hatte.
»Ich will meine Tochter sehen«, flehte er.
»Das geht nicht«, sagte Lund. »Es tut mir leid.«
Ein blechernes Aufheulen drang aus der rechten Hand des Mannes. Lund trat vor, bog seine Hand auf. Die Hand eines Arbeiters. Stark und narbig, die Haut ledrig und alt. Er protestierte nicht, als sie ihm das Handy abnahm und den Namen auf dem Display las.
»Pernille. Hier ist Lund. Jemand kommt gleich zu Ihnen.«
Dann steckte sie das Telefon ein, bedeutete den Beamten, Birk Larsen wegzubringen, und ging zu dem nassen Ford zurück, der schwarz und glänzend neben dem Kranwagen stand. Die Techniker waren bereits ausgeschwärmt, alles Notwendige war veranlasst. Beamte in Schutzkleidung. Lund hatte genug gesehen. Ein schwarzes Auto. Stark glänzend. Meyer hatte recht. Es war so neu und sauber.
Er stand rauchend neben dem Kranwagen, schüttelte den Kopf.
»Wir haben den Halter«, sagte er. »Du wirst es nicht glauben …«
Lund blieb neben ihm stehen, wartete.
»Der Wagen gehört zu Troels Hartmanns Wahlkampfbüro«, sagte Jan Meyer.
»Hartmann – der Politiker?«
Meyer schnippte seine Zigarette in Richtung Kanal.
»Der Schulsenator. Der Poster-Boy. Tja. Genau der.«
Drittes Kapitel
DIENSTAG, 4. NOVEMBER
Buchard kam kurz nach Mitternacht. Dann traf der diensthabende Pathologe mit seinem Team ein. Schwärme von Kriminaltechnikern vermaßen Reifenspuren, fotografierten endlos, sperrten das sumpfige Gelände ab. Sie stapften durch den Regen, durchnässt, nahmen sich als Letztes die blutverschmierte, zerschrammte Leiche eines jungen Mädchens vor, noch in dem zerfetzten Hemd, Hände und Füße mit schwarzen Kabelbindern gefesselt, in den Heckraum eines glänzenden schwarzen Ford geworfen. Lund sprach mit allen. Sie war die zuständige Beamtin. Kein Gedanke an Mark oder Bengt oder Schweden.
Immer noch Blitzlichter im Umkreis des Wagens. Dann rückte das Team endlich zu dem offenen Kofferraum vor, begann Details des stillen kleinen Körpers und seiner Wunden zu erfassen, des toten Gesichts, der starren hellblauen Augen.
Buchard fragte wie immer nach dem Todeszeitpunkt. Lund gab weiter, was ihr der Pathologe gesagt hatte: keine Ahnung. Übers Wochenende hatte niemand Vermisstenanzeige erstattet. Es würde eine Weile dauern, den Todeszeitpunkt festzustellen. Der alte Mann blickte finster drein.
»Was für eine gottverlassene Gegend …«
»Wir wissen nicht, ob sie hier gestorben ist. Er wollte nicht, dass sie gefunden wird. Noch ein paar Tage dieser Regen …« Sie warf einen Blick auf das geschäftige Treiben am Auto. Bald würde man das Mädchen wegbringen. Jemand musste sich um die Familie kümmern. »… und die Reifenspuren wären weg gewesen.«
Buchard schwieg.
»Er kannte sich hier aus«, sagte Lund. »Er wusste, was er tat.«
»Todesursache?«
»Das wissen wir noch nicht. Aber sie wurde misshandelt. Heftige Schläge auf den Kopf. Anzeichen einer Vergewaltigung.«
»Und der Wagen? Er gehört zu Troels Hartmanns Team?«
»Ja. Das ist im Moment unsere wichtigste Spur.«
Bengt Rosling rief an. Lund ging ein paar Schritte zur Seite.
»Was ist los?«, fragte er.
»Wir haben eine Mädchenleiche gefunden. Ich erzähl dir später alles. Tut mir leid, dass ich’s nicht geschafft hab.«
Bengt war Kriminalpsychologe. Sie hatten sich über einen Drogenmord in Christiania kennengelernt. Das Opfer war ein Patient von ihm gewesen.
»Was ist mit Mark?«
»Er ist bei meiner Mutter.«
»Ich meine, wegen morgen. Er sollte doch morgen mit dem Schwedischunterricht anfangen. In Sigtuna.«
»Ach ja, stimmt.«
»Ich sag dort Bescheid, dass er erst am Mittwoch kommt.«
»Wir nehmen einen anderen Flug. Ich sag dir noch, wann wir ankommen.«
Buchard kam heran. »Gibt es eine Verbindung zwischen dem Mädchen und Hartmann?«, fragte er.
»Das muss ich noch checken.«
»Wenn ein OB-Kandidat in die Sache verwickelt ist, gebt mir Bescheid.«
»Ich kann da nicht dranbleiben, Buchard.«
Ein Hupen. Es war Meyer, Zigarette im Mundwinkel. Er wollte los.
»Nimm Meyer«, sagte sie.
Der Chef trat dicht vor sie hin.
»Das hier sollte nicht sein erster Fall sein. Frag nicht. Ich rufe morgen die Stockholmer Polizei an und kläre das mit denen.«
»Nein«, beharrte sie. »Es geht nicht.«
Lund ging davon, zu Meyer und dem Wagen.
»Du hast das Mädchen gefunden.« Buchard eilte ihr nach, sprach zu ihrer nass glänzenden blauen
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