Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
Regenjacke hin. »Hätte Meyer sie auch gefunden? Alles, was er aufgespürt hat, war ein toter Fuchs.«
Sie blieb stehen, drehte sich um, starrte ihn an. Er sah aus wie ein ergrauter alter Mops, und seine Augen hatten manchmal den gleichen zudringlichen Ausdruck.
»Nur noch einen Tag, Sarah.«
Schweigen.
»Soll Meyer mit den Eltern reden?«
»Ich hasse dich. Weißt du das?«
Buchard lachte und klatschte in seine feisten kleinen Hände.
»Ich mach die Nacht durch«, sagte Lund. »Und morgen bin ich weg.«
Das Leichenhaus war menschenleer. Ein hallender, aseptischer Flur nach dem anderen. Noch in seiner schwarzen Lederjacke, der Wollmütze und der roten Latzhose ging Theis Birk Larsen mit schweren Schritten über die sauberen Fliesen zu der Tür am Ende. Ein Vorraum. Pernille in ihrem beigen Gabardinemantel drehte sich um und sah ihn an, die Augen weit geöffnet, das Gesicht voller Fragen. Zwei Schritte vor ihr blieb er stehen, ratlos, was er sagen oder tun sollte. Vage Worte stiegen in seinen Mund auf und verharrten dort, unvollendet und ungewiss, scheuten sich, die kalte, trockene Luft zu durchbrechen. Ein großer Mann, mächtig, manchmal furchteinflößend, stumm, die Augen jetzt von Tränen glänzend.
Beschämt darüber, wie sehr es Pernille bestürzte, ließ er sie herankommen, ihre Arme sanft um seine Schultern legen. Sie hielt ihn, ihr feuchtes Gesicht an seiner borstigen Wange. Zusammen standen sie da, klammerten sich stumm aneinander. Zusammen betraten sie den weißen Raum. Blitzende Kacheln und Medizinschränke, Wasserhähne und Waschbecken, silberne Schalen und chirurgische Instrumente, all die Geräte, die den Tod festschrieben.
Die Beamten gingen den beiden voran, der Frau mit dem starren Blick, dem ruppigen Mann mit den großen Ohren. Gingen zu einem schneeweißen Tuch, sahen sie von der Seite an, warteten. Ein Mann im Chirurgenkittel kam aus einer Ecke, blaue Haube, blaue Schürze, blaue Handschuhe. Solche Ärzte waren bei Nannas Geburt dabei gewesen. Theis Birk Larsen sah das Bild deutlich vor sich. Dieselben Farben, dieselben scharfen chemischen Gerüche. Ohne ein Wort, ohne einen Blick trat der Mann zu ihnen, hob das weiße Tuch. Pernille näherte sich zögernd. Ihre Augen weiteten sich. Und die ganze Zeit sah die Polizistin sie an, registrierte jede Geste, jeden Atemzug, jede Bewegung. Birk Larsen nahm die schwarze Mütze ab, verlegen, weil er sie noch aufgehabt hatte. Betrachtete das blutleere, zerschrammte Gesicht auf dem Tisch, das schmutzverschmierte Haar, die leblosen grauen Augen. Erinnerungen stürmten auf ihn ein. Bilder, Geräusche, eine Berührung, ein Wort. Babygeschrei, ein bitter bereuter Streit. Ein heißer Nachmittag am Strand. Ein eisiger Morgen im Winter, auf einem Schlitten. Nanna, winzig in dem roten Christiania-Dreirad, das Vagn repariert und angestrichen, an dem er mit Schablonen das Logo Birk Larsen angebracht hatte. Nanna älter, als sie mit sechzehn, siebzehn in den Kasten kletterte, lachend, weil er so klein war. Ferne Momente, die nie wiederkommen, unausgesprochene Versprechen, die sich nie erfüllen würden. All die Kleinigkeiten, die einst so alltäglich schienen, schrien jetzt …
Seht ihr! Ihr habt nicht darauf geachtet. Und jetzt bin ich tot.
Jetzt bin ich tot.
Pernille wandte sich ab, ging in den Vorraum zurück, wie eine alte Frau, gebrochen, voller Schmerz.
»Ist es Nanna?«, fragte die Beamtin.
Er starrte sie an. Eine dumme Frage, dabei schien sie keine dumme Frau zu sein.
Nein , wollte Birk Larsen sagen. Sie war es .
Doch er nickte nur.
Zu viert an einem Plastiktisch, einander gegenüber. Nüchterne Tatsachen. Birk Larsen, seine Frau und die beiden kleinen Söhne waren am Freitag ans Meer gefahren, am Samstagabend zurückgekommen. Nanna wollte bei Freunden übernachten.
»In was für einer Stimmung war sie?«, fragte Lund.
»Sie war fröhlich«, antwortete Birk Larsen. »Hat sich verkleidet.«
»Als was?«
»Als Hexe.«
Die Mutter saß da, mit offenem Mund, in Gedanken woanders. Dann sah sie Lund an und fragte: »Was ist passiert?«
Lund antwortete nicht. Meyer auch nicht.
»Sagen Sie schon! Was ist passiert?«
Die kahlen weißen Wände in dem leeren Raum warfen ihre schrille Stimme zurück. Meyer zündete sich eine Zigarette an.
»Der Wagen wurde ins Wasser geschoben«, sagte er.
»Hat sie sich für Politik interessiert?«, fragte Lund.
Birk Larsen schüttelte den Kopf.
»Hatte sie Kontakt zu jemandem aus der
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