Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
Sie Bressau, was Sie wollen, und er wird sich damit befassen«, sagte er. »Und halten Sie mich ständig auf dem Laufenden. Das verlange ich.«
Sie rührten sich nicht.
»Genügt das?«, fragte er.
»Man wird sehen.«
Allein in ihrer Küche hörte Pernille Birk Larsen die Nachrichten im Radio, doch so leise, dass die Jungs es in ihrem Zimmer nicht hören konnten.
»Nach dem Appell der Mutter im Fall Nanna haben sich mehrere Zeugen gemeldet. Die Polizei hat das Büro der Liberalen Partei und das Privathaus von Troels Hartmann durchsucht. Hartmann selbst wurde vernommen.«
Lotte kam herein, mit Essen aus einem Lokal um die Ecke. Pernille sah zu, wie sie die Schachteln aufmachte. Eigentlich wollte sie ihre Schwester nicht mehr im Haus haben. Nicht, nachdem sie in der Angelegenheit mit dem Nachtclub so von ihr hintergangen worden war. Doch Theis war weg. Sie brachte es nicht fertig, ihre Eltern schon wieder um einen Gefallen zu bitten. Sie hatten ihn ohnehin nie gemocht und würden nur ihre Wir-haben’s-dir-immer-gesagt-Miene aufsetzen.
»Morgen treffen wir uns mit dem Friedhofsdirektor am Grab«, sagte sie leise.
»Okay.«
Lotte holte Teller, Gabeln und Löffel.
»Und Mama und Papa?«
»Nein, nur wir.«
»Wir?«
»Du und ich. Und die Jungs.«
»Und Theis nicht?«
Sie antwortete nicht.
»Ich weiß, du bist sauer auf ihn, Pernille. Aber ihr müsst reden. Du kannst ihn nicht draußen lassen.«
Keine Reaktion.
»Gut, vielleicht hätte er nicht ihr Zimmer ausräumen dürfen, ohne dich zu fragen. Aber du meine Güte …«
»Das geht dich nichts an.«
»Er hat’s doch nicht getan, um dich zu ärgern! Sondern weil er helfen wollte.«
»Helfen?«
»Ihr müsst drüber wegkommen. Siehst du das nicht ein? Wenn du zulässt, dass noch mehr kaputtgeht, dann …«
»Es …«
»Ich meine …«
»Jemand hat Nanna umgebracht!«, sagte Pernille, so laut sie es wagte. »Es ist nicht gestern passiert. Oder letzte Woche. Letztes Jahr.«
Sie tippte sich an den Kopf.
»Es passiert jetzt. Jeden Tag. Und du, du …«
Sie hatte keinen Hunger, wollte nichts essen.
»Ich weiß, dass sie ihn finden müssen«, sagte Lotte. »Aber das ist nicht wichtiger als du und Theis und die Jungs.«
Pernille spürte, wie die Wut in ihr aufstieg, und merkte, dass ihr das inzwischen gar nicht mehr unangenehm war. Sie sah ihre Schwester böse an. Lotte war immer noch schön. Lotte hatte keine Kinder, hatte nie solche Sorgen gehabt. Und sie hatte nie einen Ehemann gehabt oder auch nur einen Freund, der länger bei ihr geblieben wäre.
»Wie kommst du dazu, mir Vorhaltungen zu machen?«, fragte Pernille. »Wie kommst du dazu, mir zu sagen, was ich zu tun habe?«
Lotte fing an zu weinen, doch das war ihr gleichgültig.
»Ich bin deine Schwester …«
»Nichts ist mehr wichtig. Ich nicht. Theis nicht. Die Jungs nicht. Du nicht …«
»Pernille.«
»Wenn du mir gesagt hättest, was Nanna vorhatte, hätte ich sie vielleicht davon abhalten können!«
Lotte saß am Tisch, zusammengesunken, verheult, stumm, die Augen niedergeschlagen.
»Ich traue dir genauso wenig wie ihm. Wie auch?«
Gekicher aus dem Zimmer der Jungs. Sie fragte sich, ob Anton ausnahmsweise einmal nicht ins Bett machen würde.
»Anton! Emil!«, rief Pernille. »Es gibt was zu essen!«
Die Jungs stimmten ein Freudengeheul an.
»Die beiden sollen dich nicht weinen sehen, Lotte«, sagte sie. »Entweder du hörst auf, oder du gehst.«
Lotte trocknete sich im Bad die Augen. Sie dachte an das Kokain in ihrer Handtasche. Verwünschte sich aber sofort dafür. Dann ging sie zurück und aß ein bisschen, hörte den lachenden Jungs zu und beobachtete Pernille, die wie gebannt auf den Fernseher starrte. Um halb neun ging sie in die Garage hinunter. Vagn Skærbæk war da und telefonierte besorgt herum. Er hatte Theis nicht gefunden. Hatte keine Ahnung, wo er sein konnte.
»Wen hast du alles angerufen?«
»Alle, denen ich über den Weg traue. Ich hab sie gebeten, keine Gerüchte in die Welt zu setzen. Nicht, dass es in ganz Vesterbro die Runde macht.«
Er und Theis waren wie Brüder. Theis immer der Dominierende, doch sie standen sich sehr nahe. Wenn ihn doch irgendjemand gefunden hätte …
»Ich fahr mal ein bisschen rum«, sagte Skærbæk. »Ich kenn ein paar Stellen …«
»Was hat er gesagt, als er bei dir war?«
Skærbæk zog seine Jacke an. Schwarz, wie die von Theis, aber billiger.
»Nichts.«
»Irgendwas muss er doch gesagt haben …«
»Er hat nichts gesagt!
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