Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
bevor ich Kinder hatte, da hab ich auch viele schlimme Sachen gemacht.«
Er schaute den Mann finster an.
»Nicht wie du. Nicht deine Kragenweite. Ich hab Leuten wehgetan, weil ich dachte, sie hätten’s verdient. Ich hab …«
Er schloss gequält die schmalen Augen.
»Na, genug von dem Scheiß.«
An allen Wänden hingen Kruzifixe, eine schmale, gebrochene Gestalt, die auf jeden herabsah, der durch die Tür geschlurft kam.
»Das ist lange her.« Er zeigte auf den Schmerzensmann. »Aber der hat’s nie ganz vergessen, glaub ich. Er hat mir nur eine Verschnaufpause gelassen. Ein bisschen Zeit mit meiner Familie. Und die ist jetzt vorbei.«
Zu viele Worte. Er zog wieder an der Zigarette, der Rauch brannte ihm in den Augen, warf dem Mann einen Blick zu.
»Ich bin mir sicher, dass da was ist, Theis. Hilfe, Trost, etwas, das dir und deiner Familie Hoffnung gibt.«
»Tja«, sagte Birk Larsen. »Kann sein.«
Er sah den Mann an.
»Du würdest das nur nicht besonders christlich finden, glaub ich.«
Am Ende wusste der weißhaarige Mann nichts mehr zu sagen.
»Gute Nacht«, murmelte Birk Larsen und ging auf die feuchte, kalte Straße hinaus.
Ein Zusammenzucken, ein stechender Schmerz am Hinterkopf. Lund kam auf dem Boden der Tiefgarage zu sich, versuchte aufzustehen, konnte sich kaum rühren. Ihre Hände waren gefesselt, ihre Füße auch. Das Licht brannte. Sie lag neben dem weißen Kombi. Nahe dem halbfertigen Schrank und dem Werkzeug. Kroch über den Boden, atmete den Staub ein, den Öldunst, den Sägemehlgeruch. Und Zigarettenrauch. Sie schaffte es, sich so weit umzudrehen, dass sie den kleinen rotglühenden Punkt in der Ecke sah. Ihre Augen fokussierten sich darauf.
Holck saß rauchend auf einem Ölfass. Ein Mann, der überlegt, was zu tun ist. Reden, dachte Lund. Die Pistole war weg. Alles war weg.
»Machen Sie mich los, Holck. Das kann nicht gutgehen, dass wissen Sie doch.«
Er antwortete nicht.
»Machen Sie schon.«
Schweigen.
»Wir finden eine Lösung.«
Es klang kläglich, falsch.
»Ja?«
Er rauchte weiter, sah sie an. Sah sich in der Garage um.
»Die Kollegen können mich orten.«
Er warf etwas durch das Halbdunkel. Es fiel vor ihr zu Boden. Ihr Handy, zertrümmert.
»Sie wollen doch sicher wissen, was war«, sagte er.
»Machen Sie mich los.«
Er lachte.
»Wie hätten Sie’s denn gern? Wenn ich’s Ihnen sage …«
Sie antwortete nicht.
»Nein, im Ernst.« Es klang kalt und belustigt. »Es interessiert mich. Wenn ich’s Ihnen sage, bring ich Sie um. Wenn nicht …«
Er warf die Zigarette in ihre Richtung. Sie kreiselte durch die Luft und landete zischend in einer Ölpfütze.
»Oh. Dann bring ich Sie auch um. In dem Fall …«
»Machen Sie mich los, Holck.«
Er hob den Kopf, als horchte er auf etwas.
»Schön still hier unten. Gefällt’s Ihnen?«
»Holck …«
Er erhob sich, kam auf sie zu.
»Ich hab im Präsidium Bescheid gesagt, wo ich hinfahre«, sagte Lund schnell. »Die sind schon unterwegs.«
Er hatte seine Brieftasche hervorgeholt, betrachtete etwas.
»Haben Sie Kinder?«
Sie zitterte. Die Kälte. Die Angst. Er kam nahe heran, ging in die Hocke, zeigte ihr die Brieftasche.
»Haben Sie Kinder? Das hier sind meine.«
Ein Mädchen und ein Junge, lachend, mit einer Frau, die in die Kamera lächelte. Holcks Finger strichen über die Gesichter.
»Meine Frau.« Er schüttelte den Kopf. »Meine Exfrau. Sie lässt mich die Kinder kaum noch sehen.«
»Holck …«
»Sie wollten doch wissen, was los war. Die ganze Zeit haben Sie Fragen gestellt. Jetzt sehen Sie, was Sie davon haben.«
Er klopfte sich an die Brust.
»Und jetzt beschuldigen Sie mich? Mich? Ich hätte niemals jemanden umbringen wollen. Wer will das schon? Niemals. Nicht mal diese dreckige kleine Hure.«
»Jens …«
»Christensen, dieser schmierige Dreckskerl, der hat einfach keine Ruhe gegeben. Er wollte Geld. Einen Job. Er wollte …«
Rasende Wut verzerrte Holcks unglückliche graue Züge.
»Diese Scheiße hatte mich schon zu viel gekostet.«
»Ich weiß.« Sie versuchte abzuwiegeln. »Deshalb müssen wir reden. Sie müssen mich losmachen. Dann finden wir eine Lösung.«
»Ja.«
Hoffnung.
»Ich würde ja gern.«
»Dann tun Sie’s. Machen Sie mich los.«
»Aber das ist nicht so einfach.«
»Holck …«
Er stand auf, sah sich um.
»Ich wusste, dass Sie mich verstehen würden.«
Ging zu dem weißen Kombi, öffnete die Heckklappe. Lund wand sich, vergeblich, versuchte zu überlegen. Er kam
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