Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
hervorgeht, dass Sie das Geld für Olav Christensen angewiesen haben.«
»Also glauben Sie jetzt, dass Jens der Täter ist?«
»Beantworten Sie nur die Frage.«
»Möglich wär’s. Ich leite die Abteilung. Ich bin kein Buchhalter.«
Ein Blick auf seine Notizen, dann fragte Brix: »Hat Holck sich in letzter Zeit irgendwie merkwürdig benommen?«
»Was ist denn das für eine Frage?«
Brix’ Telefon läutete.
»Sie war nicht an der Adresse, die ich Ihnen gegeben hab«, sagte Meyer. »Das Haus steht zum Verkauf.«
»Ist sie im Rathaus?«
»Nein. Da hab ich schon angerufen. Sie müssen eine Fahndung nach ihr rausgeben.«
»Ist ja nicht das erste Mal, dass sie auf eigene Faust loszieht.«
»Hören Sie, Brix! Da ist was oberfaul! Sie ist allein, und ich bin mir verdammt sicher, dass Holck unser Mann ist.«
»Sie waren sich schon öfter ganz sicher.«
»Also, helfen Sie mir jetzt oder nicht?«
Brix nahm das Telefon vom Ohr, wandte sich Hartmann zu: »Wo wohnt Jens Holck zurzeit?«
»Was ist los?«
»Holck ist nicht in seinem Haus. Haben Sie noch eine andere Adresse von ihm?«
»Nein. Aber er ist seit ein paar Monaten geschieden. Soviel ich weiß, wohnt er im Moment bei Verwandten.«
»Wo?«
»Keine Ahnung. Was ist denn los?«
Brix hob das Telefon wieder ans Ohr. »Hartmann sagt, er wohnt bei Verwandten. Wo, weiß er nicht.«
Er legte auf. Hartmann sah auf die Uhr an der Wand. Zwanzig nach acht.
»Wenn Sie glauben, Holck war’s, warum bin ich dann noch hier?«
Brix winkte einen der Polizisten heran. »Bringen Sie ihn in die Zelle zurück.«
»Die Sitzung fängt gleich an, verdammt!«
Er wehrte sich, wenn auch nur schwach, als die Polizisten ihn packten.
»Sie wissen doch, dass ich’s nicht war. Glauben Sie, Sie können die ganze Sache ad acta legen, wenn ich hier rauskomme? Glauben Sie das im Ernst, Brix?«
Der hochgewachsene Beamte blieb an der Tür stehen.
»Ich mach Ihnen einen Vorschlag«, sagte Hartmann und beugte sich über den Tisch. »Ich komme hier raus. Ich unternehme nichts wegen der willkürlichen Festnahme und des Hausfriedensbruchs. Die Schwierigkeiten, die ich Ihnen machen könnte … ich vergesse das alles.«
Brix hörte zu.
»Im Gegenzug behalten Sie für sich, was ich Ihnen erzählt habe. Und zwar strikt. Nichts geht an die Presse. Keine Andeutungen von wegen Selbstmordversuch. Nichts. Sie sagen, Hartmann ist aufgrund eines Missverständnisses vernommen worden. Wurde für unschuldig befunden und wieder auf freien Fuß gesetzt. Schluss, aus, fertig.«
Brix holte tief Luft, legte einen langen Finger an die Wange.
»In einer Woche bin ich vielleicht Oberbürgermeister. Dann sollten wir ein gutes Verhältnis haben. Und damit fangen wir am besten gleich an.« Er streckte ihm die Hand hin. »Meinen Sie nicht?«
»Sie bleiben hier«, ordnete Brix an.
Dann ging er in den Flur hinaus und rief in der Zentrale an. »Geben Sie eine Fahndung nach Lund raus.«
Von Holck nichts zu sehen. Lund ging in die Tiefgarage hinunter und schaute noch einmal nach. Sah sich suchend um, die Taschenlampe in der linken Hand, die Pistole in der rechten. Es roch nach Feuchtigkeit, Staub und verschüttetem Öl. Wandregale mit Werkzeug. Ein Stapel Holzpaletten. Ein zerlegter Motor. Ein halbfertiges Möbelstück, ein Kleiderschrank vielleicht, nacktes Holz, daneben Schraubenzieher, Nägel und eine Säge. Von Holck keine Spur. Sie ging weiter, vorbei an Zementsäcken, vorbei an Kacheln und Ziegeln. Die Glock zitterte in ihrer Hand. Außerhalb des Übungsschießstandes hatte sie die Waffe noch nie abgefeuert. Der weiße Lichtstrahl bewegte sich mit ihr. Fing nichts ein.
Dumm, dachte sie. Allein hier reinzugehen. Ohne Meyer Bescheid zu sagen. Der Verstärkung bringen konnte, Hilfe. Warum tat sie das? Lund wusste es nicht. So war sie nun einmal. Das war sie nun einmal. Die Frau, die sich zum Vicekriminalkommissær im Morddezernat hochgearbeitet hatte. Ihren Job behielt aufgrund von Leistung, nicht von Politik oder eines abstrakten Begriffs von Gleichberechtigung, den sie insgeheim verachtete. Sie war eine gute Polizistin. Eine gute Mutter. Ein Mensch, der sich Gedanken machte. Aber sie war allein, noch immer. Würde es vielleicht auch bleiben. Eine Außenseiterin. Keine Begleiterin, mit der man sich gern zeigte – mit ihrer einfachen Kleidung, ihrem schlichten Pferdeschwanz, den glänzenden Augen, die niemals aufhörten, genau hinzusehen. Lund ging allein los, weil sie Lust dazu hatte. Sie wollte die Erste
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