Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
schnitt den Umschlag vorsichtig auf. Da sie keine Schutzhandschuhe hatte, benutzte sie einen Rest von Vibekes Satin. Ein altes Band, das Etikett abgekratzt. Wie bei einigen aus der Sicherheitszentrale des Rathauses. Sie schob es in den Rekorder, sah es sich an. Griff zum Hörer. »Meyer?«, sagte sie.
Eine halbe Stunde später war er da, rot im Gesicht, fluchend.
»Kannst du mich nicht ein einziges Mal in Ruhe lassen?«
»Jetzt bist du ja da. Setz dich.«
»Das ist wie eine miese Affäre. Volles Risiko, aber kein Sex.«
Lund nahm die Fernbedienung.
»Nicht, dass ich das wollte«, fügte er schnell hinzu.
»Du hattest doch noch nie eine Affäre, Meyer. Du wüsstest ja gar nicht, wie das geht.«
Da setzte er sich hin, wie ein gehorsamer kleiner Junge.
Das Video lief an.
»Also, warum bin ich hier?«
»Das hier ist das fehlende Überwachungsband. Aus dem Rathaus.«
Man sah die Sicherheitszentrale. Leute, die das Gebäude am Abend verließen.
Meyer zupfte sich am rechten Ohr.
»Wo zum Teufel hast du das her?«
»Es lag vor der Tür.«
Sie gab ihm den wattierten Umschlag. Sie hatte ihn in einen Gefrierbeutel aus der Küche gesteckt.
Jetzt erschien Nanna auf dem Bildschirm, auch in Schwarzweiß noch schön. Das Haar ein wenig zerzaust. Kein Teenager mehr. Niemand hätte sie dafür gehalten. Sie lächelte, nervös, aber auch zärtlich. Sah auf. Sah sich um. Ein Gesichtsausdruck, der zu sagen schien: Leb wohl.
Ein Mann kam von links heran. Jens Holck. Holte etwas aus der Tasche. Schlüssel, wie es schien. Nanna umarmte ihn. Lund schob sich ein Nicotinell in den Mund und begann zu kauen.
»Sieht man auch, wie Holck das Rathaus verlässt?«, fragte Meyer.
»Erst eine halbe Stunde später.«
»Das wissen wir doch alles schon.«
»Du musst lernen, genau hinzuschauen, Meyer. Wie oft muss ich dir das noch sagen?«
Sie spulte zurück.
»Hab ich doch! Man sieht, dass er ihr die Schlüssel gibt. Sie verabreden sich. Und dann geht sie in die Wohnung.«
»Du kannst nichts dafür, dass du ein Mann bist, ich weiß. Aber im Ernst. Sie verabreden sich eben nicht. Schau hin!«
Meyers Glupschaugen fixierten den Bildschirm.
»Siehst du’s nicht? Holcks Gesicht. Er freut sich nicht. Wenn Nanna zu ihm zurückgekehrt wäre, würde er dann so traurig aussehen?«
Eine letzte Umarmung, ein Kuss, freundschaftlich, nicht leidenschaftlich. Holck wirkte wie jemand, der alles verloren hat. Und Nanna so glücklich wie das Kind, das sie nicht mehr sein wollte.
Meyer nickte.
»Okay. Das heißt aber noch lange nicht, dass er nicht mit ihr in der Wohnung war.«
Er stand auf, begann sich neugierig umzuschauen. Sah sich die Berichte auf dem Arbeitstisch an. Die Fotos an der Schneiderpuppe.
»Wo ist eigentlich deine Mutter?«
Lund stoppte das Video.
»Meyer. Du musst mir helfen.«
Keine Antwort.
»Wenn du auch nur den leisesten Zweifel hast …«, begann sie.
Er schwenkte den Gefrierbeutel mit dem Umschlag.
»Das gefällt mir nicht. Da legt jemand eine Videokassette vor deine Tür, und schon stecken wir wieder in der Scheiße mit dem Rathaus drin.«
»Wo, spielt keine Rolle.«
»So was macht jemand nur, wenn er was erreichen will.«
»Du bist manchmal so zynisch. Vielleicht will er uns ja helfen.«
Meyer betrachtete trübsinnig das erstarrte Bild. Ein unglücklicher Holck, der eine fröhliche Nanna küsst.
»Ach, verflucht«, sagte er.
MONTAG, 17. NOVEMBER
Als Erstes ließ Hartmann an diesem Morgen Gert Stokke in sein Büro kommen. Der Beamte sah ihm nicht in die Augen.
»Ich bitte Sie nur, die Wahrheit zu sagen. Dass Sie Bremer darüber informiert haben, dass Holck unsere Wohnung benutzt.«
»Ach, und weiter nichts?«
Stokke hatte ein langes Bluthundegesicht und gerötete, wässrige Augen.
»Ich will nicht in irgendwas zwischen Ihnen und Bremer reingezogen werden.«
»Sie sind schon drin«, sagte Skovgaard.
Morten Weber schaltete sich ein: »Glauben Sie wirklich, Bremer belohnt Sie dafür, dass Sie den Mund halten, Gert? Sie kennen ihn doch. Sie sind Beamter. Er kann die Sache nicht mehr auf Holck abwälzen. Also hält er sich an Ihre Verwaltung. Und Sie sind der Erste, der fliegt.«
Stokke sah die drei finster an. Ein intelligenter Mann. In die Enge getrieben.
»Und Sie stehen auf meiner Seite? Sind jetzt meine Freunde, ja? Kratzen Sie sich meinetwegen gegenseitig die Augen aus. Aber lassen Sie mich da raus.«
»Wenn Bremer im Amt bleibt, sind Sie weg vom Fenster«, sagte Weber.
Der Beamte schüttelte
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