Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
hinten. Ein Auto, das direkt auf sie zukam. Näher. Noch näher.
Sie fuhr herum. Der Wagen kam immer noch näher. Sie stellte sich ihm in den Weg. Er kam mit quietschenden Reifen zum Stehen. Erbost schlug sie mit der flachen Hand auf die Motorhaube und schrie: »Hey! Hey!«
Der SEK-Mann stand neben ihr, ebenso einige seiner Leute. Lund ging zur Fahrertür.
»Polizei«, wollte sie sagen.
Ein hochgewachsener Mann in einem langen Mantel stieg hinten aus und wedelte mit seinem Ausweis. Hielt ihn ihr unter die Nase.
»Wir sind von der Staatsanwaltschaft.«
»Interessiert mich nicht. Das hier ist ein Einsatz. Machen Sie endlich die Scheinwerfer aus.«
»Lund?«
»Das bin ich.«
»Wir führen eine Untersuchung durch …«
»Schön für Sie. Wir nehmen hier einen Mordverdächtigen fest, also setzen Sie sich in Ihr Auto und fahren Sie zurück. Wir sehen uns morgen in meinem Büro.«
Ein zweiter Mann stieg aus. Kleiner, schwerer, mit Bart, durch und durch überzeugt von seiner Wichtigkeit. Den kannte sie. Bülow. Früher mal Polizist. Jetzt bei der Staatsanwaltschaft.
»Nein, Lund«, sagte er und hielt die Tür offen. »Sie kommen jetzt mit uns mit.«
»Sie haben doch meinen Bericht.«
»Im Auto …«
»Fragen Sie Meyer«, sagte sie gedankenlos.
Bülow baute sich vor ihr auf. Kalte Augen, randlose Brille.
»Das könnte schwierig werden.«
»Ich hab mit dem Arzt geredet. Er müsste inzwischen aufgewacht sein. Hören Sie …« Sie zeigte auf das Schiff. »Der Hauptverdächtige im Mordfall Nanna Birk Larsen sitzt hier praktisch in der Falle. Würden Sie sich also bitte verpissen?«
»Übergeben Sie das Kommando. Sie …«
»Rufen Sie Brix an!«, blaffte sie.
»Bitte, hier. Sprechen Sie selbst mit ihm.«
Der andere gab ihr sein Handy.
»Brix.«
Langes Schweigen.
»Was ist los?«, fragte Lund.
»Meyer ist wieder im OP, seit 45 Minuten. Es war nicht so einfach, wie sie dachten.«
»Was soll das heißen?«
»Er liegt im Koma. Wird künstlich am Leben erhalten. Seine Familie ist da. Es sind …«
Sie sah auf das Schiff, in die dunkle Nacht.
»… Entscheidungen zu treffen.«
Lund erinnerte sich wieder. Bülow wurde immer bei Ermittlungen gegen Polizeibeamte eingesetzt. Sie fragte sich, was die beiden tun würden. Sie an den Armen packen? Beim Einsteigen ihren Kopf herunterdrücken wie bei einem Kriminellen?
»Sie müssen mit ihnen mitfahren.«
»Meyer …«
»Meyer kann Ihnen jetzt nicht helfen. Es tut mir leid. Das ist …« Sie glaubte zu hören, dass ihm die Stimme versagte. »Das sieht nicht gut aus. Überhaupt nicht.«
Ihre Finger wurden schlaff. Das Telefon fiel ihr aus der Hand, klapperte über das feuchte Kopfsteinpflaster des Piers.
»Steigen Sie ein, Lund«, sagte jemand.
Bülow ging auf und ab und stellte Fragen. Der andere machte sich Notizen.
»Also noch einmal: Sie waren in dem Lagerhaus und haben telefoniert. Sie haben einen Schuss gehört, und dann noch einen.«
Sie waren in ihrem Büro. Meyers Büro. Das Polizeiauto stand auf dem Schreibtisch. Das Basketballnetz war noch an der Wand.
»Sie finden Meyer verletzt im Erdgeschoss.«
Lund wischte sich ab und zu mit dem rauhen Ärmel des schwarz-weißen Wollpullovers die Tränen ab. Sie dachte an Meyer und seine traurige Frau Hanne. Weggabelungen.
»Wie geht’s ihm?«
Kalte Augen. Randlose Brille. Er beobachtete sie ständig.
»Der Arzt rechnet nicht damit, dass er das Bewusstsein wiedererlangt. Wir haben also nur Ihre Aussage. Ihre Darstellung des Hergangs, Lund. Sonst nichts.«
Der hochgewachsene Mann sagte: »Wir hätten nur gern ein paar Antworten. Dann können Sie gehen.«
Der Kleinere sah ihn mürrisch an, setzte sich, sah Lund mürrisch an.
»War es Ihre Idee, da hinzufahren? Haben Sie Brix informiert?«
»Nein. Er war nicht im Dienst. Es gab keinen Grund.«
Sie sah die beiden Männer an.
»Der Arzt war zuversichtlich …«
Jedenfalls hatte sie das gedacht. Vielleicht … Bülow überging die Frage, setzte neu an.
»Sie haben Ihre Waffe im Handschuhfach gelassen? Warum war das nicht abgeschlossen?«
»Meyer hat im Auto gesessen.«
»Woher wusste er, dass die Waffe da war?«
»Weil wir Partner waren.«
»Er hat also Ihre Pistole genommen. Und jemand, den Sie nicht gesehen haben, hat sie ihm abgenommen. Und ihn niedergeschossen.«
Lund konnte nicht vergessen, wie er dagelegen hatte, voller Blut, die Augen angstvoll aufgerissen, und wie er dann im Krankenwagen unter dem Defibrillator hochgezuckt war.
»Sie haben
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