Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
konnte.
»Was ist das?«, wollte Rosling wissen.
»Ein Verzeichnis der Gegenstände in Mette Hauges Kiste aus dem Lagerhaus.« Sie ging die Liste durch. »Er muss Mette irgendwie gekannt haben. Irgendwas in der Kiste muss ihn mit ihr in Verbindung gebracht haben. Das hat er rausgenommen.«
Rosling sah auf die Uhr. Sie holte ihren Notizblock heraus.
»Wir haben die Adresse von dem Haus, in das Mette gezogen ist. Es war eine Wohngemeinschaft für Studenten in der Nähe von Christiania. Wenn ich rauskriegen würde, wer da vor zwanzig Jahren gewohnt hat …«
Er nahm die Papiere nicht, die sie ihm hinhielt. Sah nur aus dem Fenster.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Ich kann nicht …«
Sie wartete. So ein netter, schwacher Mann. Er brachte es nicht einmal über sich, es zu sagen.
»Du hast das fingierte Gutachten in sehr kurzer Zeit geschrieben, Bengt.«
»Das war nicht weiter schwer. Das meiste, was drinsteht, stimmt. Du brauchst Hilfe, Sarah. Ich könnte dir jemanden empfehlen.«
»Ich brauche keine Hilfe dieser Art.«
»Doch, genau die brauchst du. Dein impulsives Verhalten. Die Art, wie du dich für fremde Menschen einsetzt, dich aber nicht um die kümmerst, die dir nahestehen. Allein losziehst, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen …«
»Es reicht, Bengt! Was war ich? Deine Geliebte oder deine Patientin?«
Keine Antwort.
»Es ist gut«, sagte sie und schnallte sich an.
»Ich ruf dich aus Schweden an«, sagte er.
»Wenn du magst.«
Sie ließ den Motor an. Er stieg aus. Lund fuhr allein in den bleichen Tag hinaus.
Sie fuhren mit den Jungs nach Humleby. Fast alle ihre Leute arbeiteten dort. Sie verputzten, malten, schufteten rund um die Uhr. Niemand hatte irgendetwas gefunden. Keinen Pass. Überhaupt nichts, was dort nicht hingehört hätte. Anton stand an der Tür, den Blick gesenkt, unglücklich. Vagn Skærbæk kam herein, ging vor ihm in die Hocke, sagte: »Alles Gute zum Geburtstag, Kumpel!«
Kein Wort.
»Ich musste es ihnen sagen, Anton.«
Skærbæk sah Pernille an.
»Das war doch richtig. Oder, Pernille?«
Sie schaute sich in dem Zimmer um, hörte nicht zu. Anton schüttelte den Kopf.
»Ich hab ein Geschenk für dich, Junge. Aber du bekommst es erst heute Abend. Okay?«
Er boxte ihn leicht in die Schulter. Entlockte ihm trotzdem kein Lächeln.
»Verdammt«, sagte Birk Larsen. »Jetzt ist Schluss damit.«
Er nahm Anton bei der Hand und ging mit ihm in den Keller. Pernille folgte ihnen. Frischer Putz, frischer Anstrich. Die neuen Dielen fast fertig.
»Wo ist er?«
»Da hinter der Verkleidung«, sagte der Junge.
Birk Larsen zog das Blech weg. Kein Boiler. Keine Rohre.
Kein Pass. Pernille zauste ihm das blonde Haar.
»Vielleicht war es was anderes. Es ist ziemlich dunkel hier unten.«
Er sah seinen Vater an und sagte: »Kann ich jetzt wieder raufgehen?«
Birk Larsen beugte sich zu ihm hinunter. Schwarze Lederjacke, schwarze Mütze. Näherte sein großes Gesicht dem des Jungen an.
»Anton. Hör mir zu. Ich weiß, dass der Umzug schwer für dich ist.« Er sah dem Kind in die Augen. »Aber du darfst keine solchen Geschichten erzählen. Verstehst du?«
Anton senkte den Kopf.
»Verstehst du das?«, wiederholte Birk Larsen lauter. »Das macht Mama traurig. Und mich auch. Du kannst sagen, was du willst. Aber nicht lügen über irgendwas mit Nanna. Niemals …«
»Lass gut sein, Theis«, schaltete Pernille sich ein.
Anton war den Tränen nahe. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und führte ihn nach oben.
Vagn Skærbæk blieb auf der Treppe stehen. »War das jetzt nötig?«, fragte er, als die beiden außer Hörweite waren.
»Was verstehst du schon von Kindern?«
»Ich war selber mal eins. Hast du einen Hund für ihn?«
»Als ob ich Zeit für so was hätte …«
»Ich hab einen Freund, der hat ein paar Welpen, die er nicht loskriegt, Theis. Vielleicht …«
Birk Larsen sah ihn an.
»Ich will mich nicht einmischen«, sagte Skærbæk eilig. »Nur, wenn ich dir was abnehmen kann.«
»Ich dachte, der Boiler sollte inzwischen schon eingebaut sein.«
»Kein Problem«, sagte Vagn Skærbæk. »Da kümmer ich mich auch drum.«
Sie lauerten wie die Geier auf der Rathaustreppe. Reporter, Kamerateams, Tonleute, die jedem, der hineinging, ein Mikrofon unter die Nase hielten. Hartmann und Weber gingen zusammen hinein, Seite an Seite. Ihre Haltung stand fest. Hartmann würde dabei bleiben. Trotz all ihrer Meinungsverschiedenheiten war Bremer eine Respektsperson in der politischen Szene
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