Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
mechanisches Geräusch.
»Der Aufzug ist leer. Ich komm zu dir rauf.«
»Ich glaub nicht, dass er hier oben ist.«
»Er ist runter. Er ist bei dir …«
»Ich komme …«
Beim ersten Knall fuhr sie zusammen. Beim zweiten verzog sie schmerzlich das Gesicht. Man hörte Meyer schreien und stöhnen. Bülows Miene hatte sich verändert. Anscheinend gab er sich Mühe, mitfühlend zu wirken.
»Sie haben drei Tage nicht geschlafen. Es ist dunkel. Sie hören ein Geräusch und denken, es ist der Mann, den Sie suchen, irgendwo in dem Gebäude. Sie ziehen Ihre Waffe. Die Waffe, die Sie in das Gebäude mitgenommen haben. Sie laufen die Treppe hinunter.«
»Ich bitte Sie …«, sagte Lund leise.
»Sie stoßen die Tür auf und schießen. Was sollten Sie sonst tun? Was hätte irgendwer sonst unter diesen Umständen anderes getan? Da ist jemand. Er greift nach Ihrer Waffe. Sie feuern. Er greift noch einmal. Sie feuern noch einmal.«
Lund richtete ihre klaren, scharfen Augen auf ihn.
»Zu Ihrem Entsetzen merken Sie, dass Sie auf Meyer geschossen haben. Sie sind verzweifelt. Sie rufen einen Krankenwagen. In den sechzehn Minuten, bevor er eintrifft, fingieren Sie einen Einbruch. Dann legen Sie Ihre Pistole neben Meyer und warten.«
Er machte eine Pause.
»Was sagen Sie dazu, Lund?«
»Ich sage, das ist das Dümmste, was ich je gehört habe.«
»In dem Gebäude gab es keinerlei frische Spuren außer Ihren und denen von Meyer.«
»Sie sind ein gescheiterter Polizist auf der Suche nach etwas, womit Sie erneut scheitern können.«
»Wir haben nichts gefunden!«
Sie ließ ihn trotzdem nicht aus den Augen.
»Das liegt daran, dass Sie nicht richtig suchen.«
Der andere schaltete sich ein.
»Wir haben Meyers Frau vernommen, Lund. Er ist kurz zu sich gekommen, bevor er wieder in den OP gebracht wurde.«
Er überflog ein Aussageprotokoll.
»Das Einzige, was er gesagt hat, war Ihr Name. Sarah. Immer wieder: Sarah.«
»Offenbar hielt er das für wichtig«, ergänzte Bülow. »Es könnte natürlich eine Liebeserklärung sein. Aber wenn man Ihr Verhältnis betrachtet, ist das nicht sehr wahrscheinlich.«
Er schob ihr ein Formular hin.
»Sie werden morgen dem Richter vorgeführt. Sie kennen das Verfahren. Sie haben das Recht, einen Anruf zu machen.«
Bülow gab ihr das Handy zurück, dann gingen die beiden Männer aus dem Zimmer.
Lund folgte ihnen.
»Das alles ergibt doch keinen Sinn.«
Sie gingen weiter. Ein uniformierter Polizist hielt sie an der Tür auf, stieß sie zurück. Lund nahm das Handy vom Tisch. Rief an.
»Ich bin’s«, sagte sie. »Ich brauche deine Hilfe.«
Bülow ging auf die andere Seite des Gebäudes und traf Brix in seinem Büro bei der Mordkommission an.
»Ihre Wohnung muss durchsucht werden«, sagte er. »Ihre Kleider und ihre Schuhe müssen ins Labor. Ich brauche ihre Personalakte. Sie haben zwanzig Minuten.«
Brix lachte ihm ins Gesicht.
»Sie bekommen alles. Zu gegebener Zeit.«
»Zwanzig Minuten, Brix. Es geht mir nicht nur um Lund.«
»Nach allem, was in ihrer Akte steht, hat Lund noch nie ihre Waffe benutzt. Sie hat sie im Dienst nie getragen. Hat sie nie mitgenommen. Das wissen alle.«
»Sie haben ihr vor ein paar Tagen die Dienstmarke abgenommen und sie ihr dann wieder zurückgegeben. Warum?«
»Weil sie im Recht war und ich im Unrecht. Sie hat Dinge gesehen …« Er zuckte die Schultern. »Dinge, die mir entgangen sind. Und allen anderen auch. Es ist nicht immer einfach mit ihr, aber …«
»Sie wussten, dass sie labil war. Sonst hätten Sie es nicht getan.«
»Ich hab’s getan, weil sie mir auf die Nerven ging. Das kann sie gut, und es ist ihr egal. Aber der Fall ist ihr nicht egal. Im Gegenteil, er ist ihr vermutlich wichtiger als alles andere. Ihre Familie. Sie selbst. Ich weiß nicht, warum …«
Bülow schnitt ihm das Wort ab. »Ja, ja, das können Sie mir alles ein andermal erklären. In zwanzig Minuten …«
Es gab vier Zellen für Frauen. Die anderen drei waren mit kreischenden Betrunkenen besetzt. Lund setzte sich auf den Stuhl und sah sich um. Von innen wirkte die Zelle anders. Kleiner. Eine einzelne Matratze. Bettwäsche und ein Kopfkissen. Ein Waschbecken und eine Bibel. Sie trug einen blauen Jogginganzug. Unter dem Bett stand eine Schüssel. Lund musterte den diensthabenden Beamten. Versuchte, sich seinen Namen zu merken. Er gab ihr ein Stück Seife und ein Handtuch. Ging hinaus. Schloss die Tür. Schaute durch die Klappe.
»Ob ich was zu essen kriegen
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