Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
Ihren Namen gesagt. Sarah. Sonst nichts.« Sie öffnete die Augen ein wenig. »Und eine Zahl. Ich weiß nicht …«
»Was für eine Zahl?«
»Ich hab’s nicht richtig verstanden.«
»Wie hat’s denn geklungen?«
»84.«
»84?«
Die Tür ging hinter ihr auf. Zwei Mädchen kamen heraus. Verweint. Verloren.
»Hat er sonst noch etwas gesagt, Hanne?«
Sie überlegte.
»Nein. Nichts. Ich weiß nicht mal, ob er gemerkt hat, dass ich da war. Okay?«
Sie küsste die Jüngere, legte der Älteren die Hand aufs Haar. Ging mit ihnen hinein. Lund stand in dem Anbau, neben dem Christbaum und dem gelben Motorrad, auf dem sie Meyer nie hatte fahren sehen. Ihr Handy klingelte.
»Ich hab einen Freund in Schweden angerufen«, sagte Bengt Rosling. »Die können auf dänische Datenbanken zugreifen. Ich hab einen Namen aus der Zeit, in der Mette Hauge in dem Studentenhaus gewohnt hat. Er heißt Paludan. Er ist immer noch unter derselben Adresse gemeldet.«
»Das ist gut.«
»Mehr war nicht zu erfahren. Magnus hat mich angerufen. Sie haben ihn in Oslo erreicht. Sie wissen, dass das mit dem Gutachten ein Schwindel war. Bülow hat dich zur Fahndung ausgeschrieben. Der Leihwagen läuft auf meinen Namen. Das Kennzeichen haben sie nicht. Glaub ich jedenfalls.«
»Danke«, sagte sie und schaute durch die Windschutzscheibe auf die Straße hinaus. Wie es wohl sein mochte, auf der anderen Seite zu stehen? Nicht Jägerin zu sein, sondern Gejagte.
Troels Hartmann und Morten Weber erwischten Lennart Brix, der in seinem Büro Akten durchsah.
»Ich hab jetzt keine Zeit für Sie«, sagte Brix, ohne von seinen Unterlagen aufzuschauen.
»Uns sitzt schon wieder die Presse im Nacken«, sagte Hartmann. »Ich nehme an, das geht von Ihnen aus. Ich möchte mit Lund sprechen.«
Brix schaute auf.
»Da sind Sie nicht der Einzige.«
Hartmann knallte seine Aktenmappe auf den Schreibtisch und sah Brix entnervt an.
»Ich verliere allmählich die Geduld mit Ihnen und Ihren Leuten. Ich will Antworten haben.«
»Die haben Sie doch längst bekommen. Wenn ich Ihnen irgendwas hätte anlasten können, dann hätte ich es getan. Sie zeigen sich derweil doch in aller Seelenruhe im Fernsehen und werben um Wählerstimmen. Also spielen Sie hier nicht den Gekränkten.«
Brix stand auf.
»Wer hat Lund dieses Band geschickt?«
»Ich weiß es nicht. Möglich, dass jemand aus Ihrem Büro es entwendet hatte. Wenn ich wüsste, wer, würde ich ihn beschuldigen. Aber ich weiß es nicht. Ich verstehe nicht, warum der Betreffende das getan und dann so lange gewartet hat, bis Sie aus dem Schneider waren. Und ehrlich gesagt interessiert’s mich im Moment auch nicht besonders. Oder sollte es mich Ihrer Meinung nach interessieren?«
»Ist es wichtig?«, fragte Weber.
Brix lächelte.
»Wer weiß?«
Er streckte die Hand aus.
»Ich nehme an, Sie müssen wieder auf Stimmenfang gehen. Lassen Sie sich nicht aufhalten.«
Auf der Rückfahrt im Auto rief Hartmann im Büro an. Rie Skovgaard meldete sich. Sie war trotz allem zur Arbeit erschienen und ging seine Rede für den folgenden Tag durch. Sie redeten miteinander, als sei nichts geschehen.
»Einer von Bremers Leuten hat aus dem Krankenhaus angerufen. Er will dich sehen.«
»Warum? Ich dachte, die hätten ihn inzwischen entlassen.«
»Irgendwelche Komplikationen. Sie wollen ihn über Nacht dabehalten.«
»Was für Komplikationen?«
»Ich bin keine Ärztin. Ich hab gesagt, du hast keine Zeit. Was ist denn?«
»Nichts.«
Weber saß schweigend da und hörte zu. Hartmann beendete das Gespräch.
»Wenn wir wieder im Büro sind, such mir bitte Ries Arbeitsvertrag raus«, sagte er. »Ich will ihn mir ansehen.«
Jetzt wohnten da keine Studenten mehr. Mette Hauges ehemaliger Block war frisch renoviert und beherbergte offenbar teure Wohnungen. Christiania-Dreiräder für die Kinder. Kopfsteinpflaster und Exklusivität. Paludan war ein schlanker, sportlich wirkender Mann, der auf einem Rennrad ankam, als sie parkte. Er fragte nicht nach ihrem Ausweis, sondern schien vor allem darauf bedacht, dass das Gespräch im Freien stattfand. Nicht unter den Augen seiner Frau.
Einen halben Kilometer weiter war die sogenannte Freistadt Christiania, eine Art degenerierte Hippie-Kommune. Drogendealer gab es in der Stadt, so lange Lund zurückdenken konnte. Die Hälfte von ihnen gehörte den Gangs an, die von dänischen Bikergruppen geführt wurden. Die übrigen waren Türken und andere Ausländer. Zwischen den beiden Seiten herrschte
Weitere Kostenlose Bücher