Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
Inderjungen.«
Skærbæk schwenkte die Flinte.
»Durchbrennen. Abhauen. Verstehst du?«
Birk Larsen grunzte etwas Unverständliches.
»Ich wusste, was du gesagt hättest. Aber du warst nicht da. Also bin ich los, und sie war noch in der Wohnung.« Seine Stimme wurde lauter.
»Ich bin ein vernünftiger Mensch! Das weißt du! Ich hab versucht, es ihr auszureden. Sie zur Vernunft zu bringen. Aber da war nichts zu machen.«
Er riss sich die Mütze vom Kopf und sah Birk Larsen flehentlich an.
»Bei Nanna nicht. Die hatte deinen Dickkopf. Sie hat mir gar nicht zugehört. Hat sich kreischend und mit ausgefahrenen Krallen auf mich gestürzt.«
Birk Larsen stand unbeweglich wie ein Baum.
»Du weißt ja, wie sie war. Dein Fleisch und Blut. Und ich?«
Skærbæk leuchtete ihm mit der Taschenlampe ins Gesicht.
»Ich hab an dich und Pernille und die Jungs gedacht. Wie ihr das finden würdet. Wie das für euch wäre. So verlassen zu werden.«
Seine Augen füllten sich mit Tränen. Seine Stimme brach.
»Wir haben sie alle geliebt. Aber sie hat sich nicht um uns geschert. Nicht um euch. Nicht um mich. Du weißt, dass das stimmt, oder? Du weißt es, Theis.«
Kein Wort von dem massigen Mann, auf dessen versteinertem Gesicht das Blut gerann.
»Theis.«
Die Stimmen kamen immer näher. Auf den silbernen Baumstämmen der Schein von Taschenlampen.
»Manchmal passiert einfach was. Man kann’s nicht vorhersehen. Man weiß nicht, woher es gekommen ist. Es passiert einfach.«
Er schwenkte die Flinte leicht hin und her, zielte.
»Das weißt du doch, oder?«
Er sah sich um.
»Keine Erklärungen. Keine Entschuldigungen. Man ist einfach …« Vagn Skærbæk wischte sich etwas von den Augen. »Man muss es einfach wieder in Ordnung bringen. Sein Bestes tun, damit alles wieder so ist, wie es sein soll.«
Er setzte die Flinte an die Schulter, vergewisserte sich, dass sie geladen war.
»Verstehst du, was ich sagen will?«
Keine Antwort. Er ließ die Flinte sinken. Der Lauf zeigte nach unten.
»Wir sind hierhergefahren. Genau an diese Stelle. Sie hatte Angst. Ich wusste, dass du’s nicht verstehen würdest.«
Junge Augen, eine junge Stimme, keine Silberkette, keine rote Latzhose mehr.
»Ich hab sie nicht umbringen können. Ich konnte es einfach nicht.«
Er schniefte. Zuckte die Schultern.
»Also hab ich sie ins Auto getragen und die Karre ins Wasser geschoben.«
Die Flinte kam wieder hoch. Birk Larsen starrte sie an.
»Hier.«
Vagn Skærbæk warf sie ihm zu. Verfolgte, wie der lange Lauf sich in der Luft zwischen ihnen drehte. Der Schaft fiel direkt in Birk Larsens massige Hand. Seine Finger schlossen sich wie von allein um das Holz. Die magische Waffe. Die Flinte, die ein Ende machte. Großer Mann, schwarze Jacke, blutverschmiertes Gesicht.
»Mach schon, du Mistkerl. Los. Mach ein Ende.«
Schnelle Schritte. Stimmen.
»Tu’s!«
Eine Frauenstimme aus der Nacht.
»Theis Birk Larsen, legen Sie die Waffe weg.«
Die beiden Männer drehten sich ihr zu. Sahen Sarah Lund jenseits des hohen Grases. Waffe im Anschlag. Schussbereit. Neben ihr Pernille in ihrem beigen Mantel. Vagn Skærbæk breitete die Hände aus und lächelte den Mann mit der Flinte an.
Eine Explosion zerriss das Dunkel. Lund hatte einen Warnschuss abgegeben.
»Treten Sie augenblicklich von Skærbæk zurück«, befahl sie. »Wir wissen, was passiert ist, Theis. Werfen Sie die Waffe weg. Gehen Sie weg.«
Skærbæk lachte.
»Was ist?«, fragte er. »Die denken, sie wissen Bescheid, großer Mann, hm? Oder hab ich da was falsch verstanden?«
Keine Worte. Im Reden war Theis Birk Larsen noch nie gut gewesen. Aber er hatte einen sicheren Blick.
»Ihr werdet nie in das Haus in Humleby einziehen«, sagte Skærbæk mit demselben hämischen, sarkastischen Lächeln. »Da hab ich’s gemacht. Kannst du dir das vorstellen?«
»Werfen Sie die Waffe weg, Theis!«, schrie Lund.
Sie stand am Rand der Lichtung. Sie sahen beide die schwarze Glock in ihren Händen. Auch noch andere Gestalten. Lichter hinter ihr. Dunkle Gestalten, die sich zwischen den silbernen Stämmen mit der sich abschälenden Rinde durchbewegten. Hunde und Stablampen, die sich sternförmig näherten, die beiden Männer auf der kleinen Lichtung einkreisten. Birk Larsen hielt die Flinte in Hüfthöhe.
»Theis«, schrie Lund. »Hier ist jemand, der mit Ihnen sprechen möchte.«
Der beige Mantel kam auf die Lichtung heraus.
»Es ist vorbei«, sagte Pernille. »Theis …«
Für einen kurzen Moment
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